Bei Joseph Haydn ist man vor Überraschungen nie sicher. Seine Musik ist voller unerwarteter Klangeffekte. Man denke nur an den Paukenschlag in seiner 94. Symphonie. Aber in der Schöpfung gibt es einen Moment, der über einen bloßen Effekt hinausgeht und regelrecht magisch wirkt, auch weil er einen tieferen Sinn vermittelt. Es ist die Stelle, an der nach mehreren Takten statisch verharrender Achtelketten im dumpfen c-Moll urplötzlich ein Fortissimo-Akkord in C-Dur hereinbricht: „Es werde Licht!” singt der Chor im Unisono und der Bann des düsteren Chaos ist gebrochen. Eine Stelle, die die meisten schon vorher kennen, die aber nie ihre Wirkung verfehlt.
In der Aufführung mit dem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble im Festspielhaus Baden-Baden war die Wirkung umso größer, weil Thomas Hengelbrock die Farben der tiefen Dunkelheit und des strahlenden Lichts nicht stärker hätte kontrastieren können. Florian Boesch hatte die Genesis-Worte von der Erschaffung des Himmels und der Erde bereits in denkbar zartesten Pianissimo mehr geflüstert als gesungen und der Chor im perfekten Gleichklang vom schwebenden Geist Gottes über den Wassern berichtet, da stand plötzlich der strahlende Glanz im Raum. Chiaroscuro, dieses verführerische Mittel der barocken Malerei, machte Hengelbrock gleichsam zur Grundhaltung seiner Interpretation. So stellte er auch die Vorstellung des Chaos zu Beginn vor: als ein Changieren zwischen Hell und Dunkel und man meinte sogar, in einem einzigen solistischen Paukenschlag den Urknall zu vernehmen.
Aber von einem wissenschaftlichen Weltbild ist der Text des Barons van Swieten ja weit entfernt. Dieser unbekümmerte Kinderglauben von der Erschaffung der Welt lässt heute eher schmunzeln, aber wie Haydn diesen Text in Musik gesetzt hat, macht den unwiderstehlichen Reiz dieses Oratoriums aus. Hengelbrock nahm sich des Werks mit seinen Ensembles außerordentlich liebevoll an, gleichsam mit einem Vergrößerungsglas auf die überreiche Klangmalerei des Komponisten. Da brüllte der Löwe in den tiefen Streichern, der Tiger schnellte in aufsteigenden Sechzehntelsprüngen empor, der Insektenschwarm flirrte in den tremolierenden Geigen vorbei und die Tauben gurrten im Kontrafagott so naturalistisch, als hätten sich welche ins Festspielhaus verirrt. Mit vernehmbarem Staunen verkündete Boesch als Raphael, dass Gott auch „große Walfische” schuf.

Und dann die Malerei der Stimmungen: Donner und Blitz, aber auch die bukolische Naturidylle der weidenden Rinder – alles was Haydn lautmalerisch in Musik gesetzt hat, realisierte das Originalklangensemble mit schönster Wirkung. War es das Trio der Traversflöten zu Beginn des zweiten Teils oder das Hammerklavier, das mit feinen Arpeggien den „aus Rosenwolken” anbrechenden jungen Morgen begleitete. Subtil und mit äußerstem Klangsinn sprach die Musik aus, was der Text ihr vorgab.
In der Abfolge der Schöpfungstage bilden die Chöre jeweils den Höhepunkt: Ruhm, Ehre und Dank für den Schöpfergott. Der Balthasar-Neumann-Chor entfaltete jeweils die größte Fülle an Klangpracht – ungemein präzise in der Intonation und flexibel im Ausdruck der jeweiligen Texte. Vor allem strahlte der Chorklang vor Freude und Jubel. Zu Beginn aber im Stadium der gerade geschaffenen Welt blieben die Stimmen im sotto voce geheimnisvoll dunkel. Dramatik entwickelten die Sängerinnen und Sänger, als es um die zur Hölle stürzende Geisterschar ging. Anna Prohaska, Julian Prégardien und Florian Boesch waren als die drei Erzengel die beredten Erzähler des biblischen Geschehens.
Im dritten Teil führt uns das Oratorium in den Garten Eden. Adam und Eva im Paradies – der Text kennt hier nur den absoluten Gleichklang der Geschlechter. Die beiden Duette sangen Heidi Baumgartner mit hellem Sopran und Josua Bernbeck mit kernigem Bariton, zwei schöne junge Stimmen, die besser nicht zueinander hätten passen können. Um die Harmonie nicht zu stören, spart das Libretto den Sündenfall aus. So bleibt es in dieser Schöpfungserzählung bei einer heilen Welt. Vielleicht ein Anlass, Menschen und Natur so wertzuschätzen, wie es Haydns Musik uns nahelegt.