„Viel Tradition, wenig Ertrag!“ So titelte kürzlich eine Tageszeitung den Bericht über Schäfer und Hirten: gerade noch in den Bergen ist das Hüten von Kühen auf Bergalmen verbreitet, die „Bergbauern-Milch“ ein Etikett, das den Umsatz steigert. Musikerinnen und Musiker der Staatsphilharmonie Nürnberg hatten ihr Kammerkonzert im Glucksaal des Nürnberger Opernhauses unter den verbindenden Begriff „Hirtenklänge“ gestellt. Und das mit Liebe und Gefühl für Stimmungen zusammengestellte Programm mit einem weltläufigen Komponisten begonnen, der enorm fleißig war (rund 1300 Werke sind von ihm überliefert), aber in Vergessenheit geriet. Der 1778 in Salzburg geborene Sigismund Ritter von Neukomm wurde erst von Michael Haydn unterrichtet, war später Schüler und enger Mitarbeiter Joseph Haydns, verehrte Mozart. Auf seinem beruflichen Weg ist er gehörig herumgekommen: von Russland zog es ihn nach Rio de Janeiro, in Italien und der Schweiz soll er einige Zeit verbracht haben. Sein eigentliches berufliches Zentrum war schließlich Paris, wo er u.a. im Dienste des Fürsten Talleyrand stand.

Julia Grüter © Julia Puder
Julia Grüter
© Julia Puder

Mit seinem halbstündigen Streichquintett Une fête de Village en Suisse (eine Premiere auch in der Bachtrack-Datenbank!) ließen die Streicher des Staatsorchesters (Manuel Kastl und Rolf Gelbarth, Violinen; Lisa Klotz und Julia Barthel, Violen; Christoph Spehr, Violoncello) aufhorchen. Dem lang ausgestalteten Adagio, einem Sonnenaufgang nachempfunden, folgte ein fröhliches Allegro molto, das die redselige Zusammenkunft der Bauern vor der Kirche nachzeichnen könnte. Im Larghetto baute sich eine fünfstimmige Fuge auf, beginnend mit einer sonor klangvollen Themenvorstellung des Cellisten, dann in ruhigen Übergängen zu den übrigen Solisten wechselnd. Allein dieser Satz sollte in seiner geradezu Schubertschen Gesanglichkeit endlich für Aufmerksamkeit bei den Streichquintetten sorgen! An dritter Stelle überraschend ein Andante con moto, das in geheimnisvollen Harmonien, fast spukhaft Geister auf einem Waldweg vorbeihuschen ließ. Lustigen Tanzschwung, wie von schweren Bergschuhen gebremst, brachte das Allegretto; im Trio sorgte ein herrliches Zwiegespräch der beiden Violin-Viola-Paare für unbeschwerte Aufmerksamkeit. Ein Komponist, mit dem man sich noch näher beschäftigen könnte!

Hirtenmusik: da singt sich Franz Schuberts Hirt auf dem Felsen über Bergwiesen und an sprudelnden Bächen entlang. Mit einer Klarinette fängt Schubert die Stimme der Hirten ein ebenso wie ihren Widerhall im Talkessel, entwickelt einen wundervollen Dialog zwischen Gesang und Echo, „vom höchsten Fels … ins tiefe dunkle Tal“. Für Julia Grüter, Preisträgerin beim Internationalen Gesangswettbewerb 2021 der ARD und Ensemble-Mitglied an der Nürnberger Oper, mit Rollen von Romilda (Xerxes) und Fiordiligi zu Micaëla und Sophie (Der Rosenkavalier), die Gelegenheit zu einem wunderbaren Arioso zwischen jubelndem Bergerlebnis und zehrender Sehnsucht nach dem Liebchen: mit ihrer herrlich klaren und hellen Sopranstimme, die sie technisch mit großer Sicherheit führte, einem wohldosierten Vibrato, mit weit ausschwingenden Koloratur-Bögen im Mittelteil. Thomas Sattel musizierte virtuos und einfühlsam den korrespondierenden Klarinettenpart, am Klavier war Daniel Rudolph ein aufmerksamer wie technisch versierter Liedbegleiter.

Heitere Momente von praller Harmonik und kecker Rhythmik zauberten junge Bläsersolisten des Nürnberger Orchesters: in Igor Strawinskys delikater Pastorale ebenso wie in L’Heure du berger von Jean Françaix. Da kamen auch Dudelsacktöne ins humorvolle Spiel; launige Musikhallenstimmung begleiteten alte Schönlinge und junge Pin-Up-Girls zum verschwiegenen „Schäferstündchen“.

Im Ottorino Respighis selten zu hörender Kammermusikszene Il Tramonto verbündeten sich die Streicher nochmals mit Julia Grüter. Mit wunderbarem Melos und süffig-expressiver Intimität besang sie die dramatischen Momente eines Sonnenuntergangs, die der britische Romantiker Percy Bysshe Shelley aufgezeichnet hatte: das gemeinsame Naturerlebnis bleibt nach dem plötzlichen Tode des Mannes für die junge Liebende unerfüllt. Ruhelos wandert sie seitdem umher, wünscht sich wenigstens das Wort „Frieden“ auf ihrem Grabstein. Eine ergreifende Szene, in der die Streicher an Schönbergs Verklärte Nacht erinnerten, eine fantastische Julia Grüter farbenreiche Fin-de-Siècle-Stimmung aufklingen ließ! 

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