Ein bisschen verliebt bin ich ja ohnehin immer in das Orchester der Wiener Staatsoper; besonders groß wird die Liebe jedoch dann, wenn zwischen all dem Standardrepertoire endlich wieder ein verhältnismäßig selten gespieltes Werk von Leoš Janáček wie in diesem Fall Káťa Kabanová auf den Spielplan gesetzt wird. Das Wiener Orchester und der tschechische Komponist sind, wie man es auch dreht und wendet, einfach eine traumhafte Kombination: Dieser wehmütige Streicherklang, die immer wieder durchklingende böhmisch-mährische Folklore und die radikale Offenlegung von Seelenbrüchen – so betörend wie im Haus am Ring hört man Janáček selten! Steht dann noch ein absoluter Spezialist für dieses Repertoire am Pult kann, zumindest was die orchestermusikalische Seite des Abends betrifft, nichts mehr schiefgehen.
Und so brodelte unter der Leitung von Tomáš Netopil ein emotionsgeladener und farbenreicher Klangsturm im Graben, der eine beinahe albtraumhafte Grundstimmung nachzeichnete, dabei aber der vielschichtigen Partitur Janáčeks mit höchster Präzision begegnete. Man konnte regelrecht in die Seele des kleinen Dorfes und seiner Bewohner hören, wenn etwa die Musiker die ebenso herrische wie eifersüchtige Kabanicha schon als Klangbild schufen, bevor sie noch die Bühne betrat. Mit herrlich ausgekosteten Bögen und klagender Melancholie goss das Orchester vor allem die titelgebende Kátja in Musik und bot ein detailreiches Portrait der puren Verzweiflung. Netopil hielt dabei stets alle Fäden (und Instrumentengruppen) zusammen und sorgte so für ideale Abstimmung und feine Dynamik auch angesichts der überbordend lodernden Gefühle.
Schade, dass dieses Werk, das dem Orchester so gut liegt, so selten den Weg in die Staatsoper findet. Die besuchte Vorstellung war tatsächlich erst die elfte in dieser Inszenierung, die immerhin schon 2011 ihre Premiere erlebt hatte. Die Idee des Regisseurs André Engel, die Handlung ins Brooklyn des 20. Jahrhunderts zu verlegen, funktioniert dabei erstaunlich gut. Lediglich an der namentlich erwähnten Wolga spießt sich die Inszenierung ein bisschen, ansonsten bekommt man sowohl hinsichtlich Bühnenbild als auch Personenregie eine stringente Kátja Kabanová zu sehen. Dennoch wollte der szenische Funken, zumindest auf mich, nicht so recht überspringen. Es schien nämlich weder dem Regisseur, beziehungsweise der Wiederaufnahmeleitung, noch den Sängerinnen und Sängern zu gelingen, die Charaktere als leibhaftige Menschen zu zeichnen, mit denen man als Hörer auch tatsächlich mitfühlen könnte.
Am ehesten gelang dies noch Angela Denoke als unglückliche Titelheldin Kátja Kabanová, aber so ganz schien es nicht ihr Abend (oder ihre Rolle) gewesen zu sein. Die Stimme, deren Timbre sonst so gläsern und entrückt ist und mühelos schwebende Höhen bietet, wirkte hier plötzlich irdischer und passagenweise fast angespannt. Auch schien die recht hohe Tessitur der Rolle über den Abend hinweg ihren Tribut zu fordern. Dennoch vermochte sie in ihrer Arie im ersten Akt und auch in der Szene vor ihrem Selbstmord mit ihrer kompromisslosen Darstellung und dramatischen Ausbrüchen durchaus in ihren Bann zu ziehen.
Völlig vermisst habe ich allerdings sowohl stimmlich als auch darstellerisch die leidenschaftliche Liebe zwischen Kátja und Boris, ohne die die Dramatik der Handlung dann doch etwas steckenblieb. Denn obwohl Misha Didyk im slawischen Repertoire eine sichere Bank ist und die verhältnismäßig kleine Rolle mit viel Emphase und sicheren Spitzentönen gut ausfüllte, erinnerte die Interaktion zwischen ihm und Denoke mehr an Arbeitskollegen, die sich zum legeren Business-Lunch treffen, als an verbotener Leidenschaft anheimfallenden Liebenden.
Ein gewisses Köcheln auf Sparflamme und tendenziell fahle Charakterisierung schien auch bei den Nebenrollen auf der Tagesordnung zu stehen: Jane Henschel gab eine wenig fiese Kabanicha, die recht oft in den Wogen des Orchesters unterging und weder stimmlich noch darstellerisch Autorität ausstrahlte. Ebenso wirkte Dan Paul Dumitrescu in der Rolle des Dikoj weniger wie ein böser Despot sondern mehr wie ein typisch grantelnder Wiener am Weg zur U-Bahn. Rollenadäquat farblos im Spiel blieb Leonardo Navarros Tichon; sein klangschöner und leicht geführter Tenor lassen aber darauf hoffen, ihn bald in einer etwas größeren Rolle zu hören. Als spielfreudige Farbtupfer fielen Margaret Plummer, die die Varvara mit warmem Mezzo ausstattete, und Thomas Ebensteins hell timbrierter Kudrjáš auf.
Was man auf der Bühne zu sehen und hören bekam blieb insgesamt leider über weite Strecken blass; die großen Emotionen gingen in dieser Vorstellung vom Orchestergraben aus. In diese Klang gewordene Wolga möchte man sich aber nur allzu gerne stürzen!