Die Tragödie von Mayerling, bei der Kronprinz Rudolf im Jahr 1889 zuerst seine Geliebte Mary Vetsera und dann sich selbst erschoss, scheint nicht unbedingt prädestiniert als Stoff für eine heitere Operette, aber Emmerich Kálmán ließ sich davon nicht abhalten und erfand für sein „Romantic Musical” Marinka kurzerhand ein Happy End. In dieser Habsburger-Fanfiction gibt es aber natürlich keine Todesfälle, sondern eine vom Kaiser persönlich ermöglichte Flucht nach Amerika für Rudolf und Mary. Musikalisch bietet das Werk, das es übrigens mit 165 Vorstellungen am Broadway zur erfolgreichsten Exil-Operette schaffte, aber erst jetzt an der Oper Graz seine österreichische Erstaufführung erlebte, eine spannende Mischung aus süßlicher Walzerseligkeit und elegantem Swing.

Und auch wenn Kálmán seine Komposition dem New Yorker Publikum unter der Genrebezeichnung Musical präsentierte, klingt seine Marinka doch deutlich mehr nach Operette, denn über weite Strecken des Abends wallt die Musik üppig auf, bietet in den reichlich eingeflochtenen Walzern ausladende Streicherromantik und spart auch nicht mit den für Kálmán typischen Anklängen an seine ungarische Heimat. Unter der musikalischen Leitung von Koen Schoots glänzten die Grazer Philharmoniker mit farbenprächtiger Gestaltung, nostalgisch-romantischem Klangbild – etwa im melancholisch zurückhaltend interpretierten „Sigh by night” – und gefühlvoll eingesetztem Rubato an den richtigen Stellen. Aber auch in den swingenden Passagen überzeugten die Musiker vollends mit Leichtfüßigkeit sowie spritzigem Charme und bei „When I auditioned for the Harem of the Shah” konnte das Orchester feurige Funken versprühen.
Als gleichermaßen unterhaltsam wie praktikabel erwies sich an diesem Abend die konzertante Umsetzung, die durch Kostüme und einige wenige Requisiten aufgepeppt wurde; außerdem wurde für die gezeigte Version (die bereits vor einigen Jahren an der Komischen Oper Berlin ihre Premiere hatte) die Personenriege auf vier zentrale Figuren gekürzt, sodass auch dramaturgisch der rote Faden immer gegeben blieb. Dass man als Publikum auch ohne Szenerie stets den Überblick über all die Schauplätze sowie die zahlreichen Irrungen und Wirrungen der Geschichte behält, dafür sorgt überdies die Erzählerfigur, die Kálmán ersonnen hat. Als Josef Bratfisch Junior, seines Zeichens Urenkel des Leibfiakers des Kronprinzen, der ihm natürlich die „wirklich wahre” Geschichte hinter der Mayerling-Affäre familienintern erzählt hatte, führte Peter Bording souverän durch den Abend und ließ dabei einen samtig timbrierten Bariton hören. Ob er nun die nicht ganz so blaue Donau oder die Walzerseligkeit Wiens besang – seine Stimme floss elegant durch die Partie und verströmte in allen Lagen Wohlklang.
Schauspielerisch eine Wucht war Ruth Brauer-Kvam, die als Mary Vetsera mit packendem Storytelling – sowohl bei den gesungenen als auch den gesprochenen Texten – fesseln konnte und mit feiner Klinge viel Witz in ihre Gestaltung legte. Gesanglich gelang dabei nicht alles ganz lupenrein, wobei dieser Eindruck wohl noch dadurch verstärkt wurde, dass hier eine hauptberufliche Schauspielerin neben einem in stimmlicher Blüte stehendem Sänger zu hören war. Matthias Koziorowski sang den Kronprinzen Rudolf nämlich mit schier endlosen stimmlichen Kraftreserven, die er an diesem Abend besonders gerne bei lang gehaltenen Spitzentönen unter Beweis stellte. Beeindruckender waren aber eigentlich die leisen, differenzierten Momente, in denen er seinen Tenor zurücknahm und man voll in den Genuss seines für die Operette ideal schmelzenden Timbres kam. Sowieso immer für den großen Auftritt bereit ist Ensemblemitglied Anna Brull, die die Gräfin Landowska mit exaltierter Divenallüre ausstattete und beim Publikum für Begeisterung sorgte, denn Darstellung und Gesang verbanden sich bei ihr ideal: Schimmernd aufblühende Höhen trafen da auf ironisch gestalteten Text und feurigen Csardas im Timbre.
Natürlich ist die Story eigentlich völlig an den Haaren herbeigezogen und die Texte reichen von seicht bis schwachsinnig, aber dennoch verlässt man das Opernhaus nach den knapp eineinhalb Stunden walzerselig beschwingt und mit einem Lächeln auf den Lippen; der Abend unterhält ganz vorzüglich und bietet dank der hohen Qualität von Sängern und Orchester auch musikalische Glanzmomente!