Es gibt zahlreiche Beispiele von Sängern, die im Laufe ihrer Karriere unter die Dirigenten gegangen sind. Ob das bei Countertenor Alex Potter – wie unter anderem bei seinem Basskollegen Stephan MacLeod – auch so sein wird, steht noch in den Sternen. Doch übte er sich bei der diesjährigen Advents- und Weihnachtskonzerttournee der Nederlandse Bachvereniging schon mal als Programmersteller und musikalischer Leiter. Bei der Institution tritt er seit vielen Jahren als Stammsolist in Erscheinung; daher war es eine angemessene Geste des Vertrauens, Potter zusätzlich zur gewohnten Übernahme der Altpartie in die Position des Stückauswahl- und Interpretationsverantwortlichen zu bringen. Der Auserkorene fasste es selbst auf als „eines der schönsten Weihnachtsgeschenke, die er sich vorstellen kann“.

Die Tätigkeiten erwähne ich bewusst gleich doppelt, um sein Wirken korrekt darzustellen. Denn Potter stand weder dirigierend vor den Musikern noch bewegte er überhaupt bis auf die Schlussmarkierungen eingegliedert in die Chorgruppe der Solisten seine Hände zur Taktkoordinierung. Vorbild ist dahingehend Lionel Meunier, der als Primus inter pares auf das professionelle, kollegiale Agieren im Ensemble setzt, in dem Konzertmeister und Basso Continuo-Gruppe oder jeweilige Solisten im eigentlich ursprünglichen Sinne des Wortes miteinander musizieren. So, als Meunier gerade vergangene Saison bei der NBV ein Projekt betreute. Sowohl Werke als auch Wiedergabe trugen nun dabei aber unverkennbar die individuelle Handschrift Potters, als er sich im Falle der Musik und des Vortragens von einem traditionellen Leipziger Vesperdienst zur Barockzeit, Vorwörtern, konsequent beschriebener Stimmung und natürlich seiner eigenen Art des Singens leiten ließ.
Das dreigliedrige Programm wurde entsprechend der Leipziger Würdigung mit Johann Hermann Schein eröffnet. Als liturgischer Einzug fungierten sieben Strophen dessen strengen Hymnus‘ Veni redemptor gentium, den die solistisch besetzten NBV-Ripienisten vom hinteren Balkon im adventlich abgedunkelten, ansonsten discobunt beleuchteten Concertzaal Tilburg mit dem Affekt der Fürsorglichkeit und potterartikuliert ohne Druck, stilgebend angenehm kontrolliert aus sich, dem Text, der Friedfertigkeit und der Rhythmik heraus anstimmten. Dazwischen lockerten instrumentale Suite-Sätze Scheins Banchetto musicale diese vokale Formstrenge auf, um in „Paduan“, „Galiard“, „Allemande“ und „Courante“ mit solistischen Geigen, Bratschen, Violone, Cembalo, Dulzian, Blockflöten, kleiner Militärtrommel und Schellen einen nach Vorgabe des Komponisten „newerlich anmutigen“, warmen, leichten, luftigen Bogen zu streichen.
Für sich sprachen in aller Klarheit und Verständlichkeit zudem die so wunderbar ihren unter- wie obertonleuchtenden Sopran führende Miriam Feuersinger und butterweicher MacLeod in Tobias Michaels Motette Das Volk, so im Finstern wandelt. Außerdem der kennzeichnend deutliche, (vo)lumenerhellende, deklamationsstarke, ätherisch beseelte Potter im stolzen Verkünden Philipp Nicolais Chorals Wie schön leuchtet der Morgenstern, dessen Schlager der Counter noch zwei Varianten hinzufügte. Zunächst als Abschluss des ersten Teils die von Konzertmeister Bojan Čičić mit Continuo hinreißend und behütet gespielte „Chaconne“ Nicolaus Adam Strungks, als Finale des zweiten Parts dann Johann Kuhnaus Kantate. In ihr kam flügel- und federgleich das Staunen und Feierliche zum Vorschein, sachte und besinnlich mit Sopran II Kristen Witmer, auch sehr dezenten Trompeten und ebenfalls zärtlich mit Feuersinger. Mit Bravur im beweglichen Imperativimpetus-Einschlag Kuhnaus, hier „Kommt, ihr Völker“, absolvierte Potters Best Tenor-Buddy Thomas Hobbs den Einsatz, so wie zuvor im bestechend lichten, abgerundeten Gregorianicum Illuminare Jerusalem (nach Orlandus Lassus‘ Angelus ad pastores ait zusammen mit den fünf NBV-Ripieni) und danach im Magnificat Johann Sebastian Bachs.
Auf den alljährlich die Runde machenden Klassiker Bachs Leipziger Christusfests (Potter wählte die Kombination der bekannten D-Dur-Version mit den Weihnachtsinterpolationen der Erstfassung in Es) lief schließlich alles zu, nachdem für den dritten Teil noch Andreas Hammerschmidts Machet die Tore weit und der Gregorianische Choral Grates nunc omnes durch MacLeods kräftigere Pracht den Weg dazu bereitet hatten. Auch wenn die Tuttinummern des Magnificats durch den Leitsatz gemächlicher daherkamen, arrangierten sich die NBV, instrumental vor allem ausgezeichneter Oboist Rodrigo López Paz, und exquisiter Potter mit Solisten wie Engel und Hirten unter dem Licht Gottes.