Roberto Devereux ist für die alteingesessenen Wiener Opernfreunden „ihre“ Gruberovà, auch wenn diese in Donizettis nicht gerade populärster Oper die gealterte Elisabeth I. von England singt und (natürlich) nicht die Titelpartie, also deren jungen, in Ungnade gefallenen Favoriten. Für das Ereignis Gruberovà scheuen die Wiener kein Geld und keine Mühen – zu beschwerlich kann die Wallfahrt in die ausverkaufte Staatsoper gar nicht sein. Und wer weiß? Vielleicht bewirkt ein Abend im Glück ja das eine oder andere persönliche Wunder. Beglückend ist an diesem Abend tatsächlich vieles, wenn auch nicht im Sinne von Makellosigkeit.

Die mittlere Lage der Gruberovà ist schon etwas brüchig und mitunter wird ein Ton ganz eindeutig verfehlt, vielleicht sogar noch die folgenden zwei oder drei, doch dann gelingt wiederum (und überwiegend!) Faszinierendes: Ein Crescendo, das sich aus dem Nichts erhebt, makellose Koloraturen und lupenreine Spitzentöne, die in einem endlosen Diminuendo verglühen. Im großen Finale, dem Abgesang der Königin, deren eitles Spiel um das Leben des Geliebten fatal endet, ist ihre Expressivität kaum zu überbieten; das raubt nicht nur den erwähnten langjährigen Fans den Atem.

Ihr zur Seite stand Celso Albelo, der in der Titelpartie seine Königin schmerzhaft lehrt, dass die Liebe eine Himmelsmacht und auf Erden nicht zu erzwingen ist. Leider schien er dabei von der Personenregie ziemlich im Stich gelassen, bot zum Ausgleich jedoch gesanglich Hervorragendes. Waren zwei Spitzentöne in seiner letzten Arie „Bagnato il sen di lagrime“ vielleicht nicht ganz perfekt, der Rest war es allemal – so sichere Intonation und nahtlos ineinanderfließende Dynamiken bekommt man von Tenören auch an diesem Haus nicht immer selbstverständlich geboten. Diese Leistung ist auf jeden Fall eine Empfehlung für weitere Aufgaben.

Ensemblemitglied Monika Bohinec hat deren bereits viele, wobei allerdings nicht ganz klar scheint, wohin ihre stimmliche Entwicklung gehen soll; dass sie keine ausgewiesene Belcanto-Spezialistin ist, wurde bei ihrer Sara deutlich: Musikalität und schauspielerisches Talent konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Vibrato-reiche Stimme in der Höhe recht hölzern klingt. Ähnliches gilt für ihren Ensemle-Kollegen Paolo Rumetz, als Herzog von Nottingham ihr Bühnenehemann: Als Pendant zur  Königin (beide werden durch Devereux und Sara doppelt enttäuscht, beide sind an Devereux‘ Tod am Schafott schuldig) sollte der Herzog allerdings ebenso stark besetzt sein, weshalb eine Leistung zwischen „passabel“ und „erfreulich“ in diesem Fall fast enttäuschend ist.

Am Pult konnte Andriy Yurkevych das Orchester in den instrumentalen Passagen mitunter zu ansprechenden Leistungen motivieren (die Ouvertüre wurde verdientermaßen laut beklatscht), im teilweise recht dünnen Zwirn, mit dem Donizetti den Gesang umspinnt, gelang das weniger. Dieser wurde mitunter lieb- und lustlos abgespult, was aber am Orchester und nicht am augenscheinlich engagierten Dirigat lag; dennoch zeichneten sich die Instrumentalisten durch große Sensibilität für die Sänger aus.

Silviu Purcaretes Inszenierung wird durch die Verkürzung des Bühnenraumes (den Hintergrund bilden Theaterränge mit einer etwas schiefstehenden Königsloge) dem Kammerspiel Roberto Devereux gerecht und schafft zwischendurch auch Platz für die großen Chorszenen (beeindruckend besonders der Eröffnungschor des zweiten Aktes, Leitung Thomas Lang). Das löst zumindest ein praktisches Problem in diesem Stück, wobei eine brauchbare Kulisse allein noch nicht abendfüllend ist. Die einzige Regie-Idee abseits dieses Hintergrunds – in den besagten Theaterrängen existiert eine Art Parallelwelt der handelnden Personen oder ihrer Gefühle – ist schwach umgesetzt: Wenn der Henker mit Horrorfilm-Maske und erhobenem Beil hinter Devereux durch die besagten Theaterlogen schreitet, ist das eher lächerlich.

Das ist schade, denn dieses Werk verdient Besseres. Die erwähnten Schwächen (streckenweise nur rudimentäre Orchesterbegleitung, schwieriger Spagat zwischen intimem Drama und großen Szenen) sollen hier gar nicht schöngeredet werden, auch nicht die mangelnde dramatische Spannung in den ersten beiden Akten; doch rund um die durchwegs spektakulären Gesangslinien, die für Belcanto-Liebhaber ohnedies ein Muss sind, gibt es viel zu entdecken: Dem hochinteressanten, vielleicht ein wenig akademisch gehaltenen Programm, das zur Premiere 2000 aufgelegt wurde, entnimmt man absolut nachvollziehbare Rückbezüge auf Lucia di Lammermoor sowie Richtungsweisendes für Verdi (u.a. Don CarloMacbeth oder Nabucco), wobei sich einem bei der Grundstimmung der Oper (nicht jedoch in Bezug auf die Musik) jedes Mal wieder Simon Boccanegra gedanklich aufdrängt.

Trotz aller Schwächen ein unvergesslicher Abend, an dem die Gruberovà wieder einmal ihren Platz in den Herzen der Wiener behauptete und Celso Albelo überraschte. Wenig überraschend gab es endlose stehende Ovationen  – nicht, weil das so sein muss, wenn die Primadonna an diesem Haus Hof hält, sondern auch, weil man um den Seltenheitswert eines solchen Ereignisses weiß.

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