Bei wohl keinem anderen Komponisten sind Person und Freundeskreis so eng verbunden wie bei Franz Schubert. Schubertiaden wurden zum Zentrum seiner künstlerischen Existenz – gemeinsame Abende, an denen befreundete Künstler sich im Hause wohlsituierter Wiener Bürger trafen, sich gegenseitig aus ihren Werken vorlasen und gemeinsam musizierten, immer mit Schubert im Mittelpunkt. Eine solche Soiree stand Pate zu diesem Liederabend mit Julian Prégardien, der gemeinsam mit einem kleinen Kammermusikensemble ein reizvolles Schubertprogramm enthielt, das er auch selbst moderierte. Kein anderer Raum wäre in Baden-Baden für dieses außergewöhnliche Ereignis im Rahmen der Herbstfestspiele geeigneter gewesen als der historische Malersaal im Hotel Maison Messmer, um es dort an kleinen Bistrotischen und vielleicht mit einem Glas Wein mitzuerleben.
Ein intimer Rahmen, der dem mit großem Bedacht gewählten Programm eine besonders dichte Atmosphäre verlieh. Aus dem schier unübersehbaren Liedschaffen Schuberts waren ein Dutzend Lieder ausgewählt, jeweils zu einer Trias zusammengefasst und unterbrochen durch Kammermusik. Der Abfolge lag eine verborgene Dramaturgie zugrunde, die um die zentralen Themen des Schubertschen Liederkosmos kreiste: Schmerz und Lust, verschmähte Liebe, Trost durch die Musik, aber auch „schauerliche Lieder”, die Schubert besonders schätzte.
Von diesen stand Erlkönig im Mittelpunkt des Abends, die Goethe-Vertonung des achtzehnjährigen Komponisten. Prégradien hatte zu diesem und zu einigen weiteren Liedern eigene Bearbeitungen mitgebracht, in der die Klavierbegleitung mit einer Geigen- und einer Cellostimme erweitert wird. Dadurch bekam diese Ballade eine zusätzliche, packende Dramatik. Die Violine verstärkte die gehetzten Tremoli der rechten Klavierhand, das Cello setzte drohende Akzente im Bass. Ausdrucksstark sang Prégardien die drei Rollen des Textes: eher rezitativisch den Erzähler, in lockendem Piano den Erklönig und mit dem Affekt größter Angst den Knaben. Eine schier atemberaubende, aufwühlende Interpretation.

Davor hatte Prégradien ein lyrisches Idyll gestellt, das zärtliche Wiegenlied Der Vater mit seinem Kind, das von väterlichem Glück erzählt, aber auch von der Wehmut über die vergangene eigene Kindheit. Prégardien zeigte, mit welchem Geschmack und echten Gefühl er derartige Stimmungen zum Ausdruck zu bringen vermag. Im folgenden Du bist die Ruh kehrte der Sänger wieder zum lyrischen Ton zurück. Hier zeigte sich seine vokale Kunst in voller Schönheit: das natürlich reine Timbre, sein dezentes Vibrato, der makellose Lagenwechsel bis in eine strahlende Höhe, die in diesem Lied in der Textzeile „von deinem Glanz allein erhellt” sich zum hohen B emporschwingt – ein Glanz, den Pregardien mühelos und zudem mit ganzer Strahlkraft verströmte.
Schubert vertonte immer wieder auch Gedichte seiner Freunde, vor allem von Franz von Schober. Von diesem stand Trost im Liede auf dem Programm. Mehr als andere mag es die Grundstimmung seines Liedschaffens ausdrücken: Gefühle des Schmerzes und der Freude fließen hier zusammen. Emotionale Stimmungen, die auch die Kammermusik prägen, wie seine letzte zu Lebzeiten aufgeführte Komposition, das Klaviertrio Es-Dur, Op.100. Dessen zweitem Satz liegt ein schwedisches Volkslied zugrunde, das Schubert durch Schober kennenlernte. Se solen sjunker erzählt vom Schwinden der Hoffnung auf eine erfüllte Liebe. Prégardien sang das Lied in all seiner volkstümlichen Schlichtheit. Das Kammermusiktrio – Daniel Sepec, Christoph Dangel und Els Biesemans – nahmen den markanten Wanderrhythmus des Liedes eindrucksvoll auf, ebenso wie dessen leise Melancholie. Intensiv im Ausdruck, mit starker Binnenspannung und großer Emphase auf dem Höhepunkt erklang in perfekter Klangbalance dieser Satz.
In gleicher Weise beglückend gelangen auch die übrigen Lieder Schuberts sowie ein Satz aus der Violinsonate a-Moll. Anfang und Ende setzten zwei Lieder, die in ihrer kontemplativen Abgeklärtheit diesem singulären Abend einen wunderbaren Rahmen setzten. Im Abendrot und als Zugabe Der Wanderer an den Mond – beide verweisen in fast philosophischer Weise auf die Begrenztheit der menschlichen Natur und auf die endlose Weite des Kosmos.