„Wie wäre es, wenn eine Frau ihre Geschichte selbst erzählen würde?“ Ein klug zusammenführendes Motto, das die südafrikanische Sopranistin Golda Schultz und ihr Klavierpartner Jonathan Ware über ihre erste gemeinsame Lied-CD mit Werken von Komponistinnen gestellt hatten. Valide empfand man diese Einsicht auch im Prinzregententheater beim Liederabend im Rahmen der Münchner Opernfestspiele, in dem die Programmfolge modifiziert wurde und neben Komponistinnen Franz Schubert und Richard Strauss mit ihrem Blick auf das Weibliche den Spannungsbogen ausweiteten.

Jonathan Ware und Golda Schultz © Wilfried Hösl
Jonathan Ware und Golda Schultz
© Wilfried Hösl

Die Wogenspiele spiegelnder Wellen, schimmernder Flügel auf dem See: das sind für Schubert Bilder seelischer Zustände. Golda Schultz erzählte sehr bedacht darüber, öffnete behutsam kleine Medaillons. In der selten gesungenen Ballade Viola, D.786, fast eine Viertelstunde lang, durchlebte die Sängerin ein kleines Drama, das wie ein Schauspiel durch Leid und Freud schreitet: die Schneeglöckchen rufen die Braut (das Veilchen) und ihre Schwestern (Rose, Lilie, Hyazinthe) zu einer Hochzeit, bei der ein zaghafter Bräutigam der Frühling selbst ist (nach dem Sieg über den Winter). Doch der lässt sie manchmal allein stehen, zwischen Sonnenschein und kalter Sturmwehe. Jede der Strophen bekam ihre eigene Färbung, wundervoll ausgeschmückt zwischen Sopran- und Klaviermelodie.

Immer wieder rätselhaft, warum Werke wie Am Strande oder Die Lorelei, in denen Clara Schumann herrlich Lust und Kummertränen, Schiffer und singende Sirene charakterisiert, so selten gesungen werden. Schultz wurde hier lebhaft, dramatisch. Ihren warmen, ungewöhnlich dunkel leuchtenden Sopran führte sie in der Regel schlank, gestaltete auch gestisch und aus impulsivem Körperschwung hinreißend wildes Weh und goldenes Geschmeide.

Noch expressiver waren Schultz und Ware in Richard Strauss’ Vier Liedern, Op.27 zu erleben. Hohe Textverständlichkeit, kontrolliertes Vibrato steigerten die geheimnisvolle Stimmung in der Heimlichen Aufforderung, zwischen dramatischen Stürmen und sanftem Schlummern ein mitfühlend zärtliches Ruhe meine Seele. Ganz zurückgenommen gelang das Morgen, wenn Stimme und Klavierton alles Künstliche ablegten, einfach fließend und tröstlich den Hörer umfingen. Umso herausfahrender Cäcilie: da imponierte Schultz’ explosiver Zugriff, die fokussierte Steigerung, ihr ansteckend fröhliches Lachen, von Jonathan Wares vitaler Rhythmik befeuert.

Die in England geborene Komponistin Rebecca Clarke schrieb in den Zwanzigern Lieder über Liebe und Natur aus weiblicher Sicht. The Seal Man erinnert an den Rusalka-Stoff: eine Frau verlässt die Familie, folgt einem Robbenmann, der ein Leben an Land wie im Wasser führt. Eine große Liebe und ein Mann, der kein Mann ist. Es ist eine Musik von Klavierarpeggien, Stimmungswechseln, melodiös in Gershwin-Nähe. Bei Schultz und Ware kam die Entschlossenheit der Frau beeindruckend zu Wort; ein Drama mit vorhersehbarem Ende, wenn die Sängerin mehrfach insistierend flüsterte „she drowned“, ein Ende voll stillen Leids. Dramatisch Der Tiger, von den Wäldern der Nacht zum Hammerschlag eines Glutofens: hier durcheilte Schultz die ganze vokale Palette der Dramatik, von leisem Herzschlag bis zum Fortissimo herabgeschleuderter Speere, von geheimnisvollem Piano der Mezzostimme bis in die leuchtende Kraft hoher Soprantöne. Und bei Clarkes Wiegenlied wieder ganz friedlich und sanft weichste Glieder des süßen Kindes zu streicheln.

Die südafrikanische Komponistin Kathleen Tagg hat für Schultz und Ware 2020 einen kleinen Zyklus This Be Her Verse geschrieben, auf Texte der anglo-amerikanischen Librettistin Lila Palmer. Hier war Jonathan Ware besonders gefordert, jazzig changierende Harmonik, meisterhaft ausgespielte dynamische Bandbreite, das Klavier ein Schlagzeug: da legte er sogar das Sakko zur Seite. Akribie, Experimente und Selbstverständnis, die weibliches Erleben in den Mittelpunkt stellt: „Eine Frau ist keine Insel“, „Kein Konfettiregen zur Hochzeit“, „Einzelbett ohne Angst“. Große Kontraste neben ruhigen Passagen: Golda Schultz setzte ihre an Nuancierungen reiche Stimme herrlich instrumental ein, beeindruckte im schnellen Szenenwechsel mit leidenschaftlicher Körperlichkeit und glanzvoller gesanglicher Ausstrahlung. Um am Ende des Abends bei Rückerts traumhaftem Liebst Du um Schönheit, von Clara Schumann vertont, gute Gedanken mitzugeben auf den Weg.

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