Alles war gut komponiert an dieser Konzert-Matinée in der Münchner Isarphilharmonie: Das Programm, die Stücke, und auch die Musiker des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Schlägt man nämlich den englischen Begriff „composed“ nach, so findet man im Wörterbuch auch Begriffe wie „gelassen“ und „gefasst“. Das Programm bestand im ersten Teil mit den Four Black American Dances von Carlos Simon (*1986) und dem Trompetenkonzert Nobody knows de trouble I see von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) aus zwei modernen Kompositionen, die in ihrer der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung entliehenen Botschaft gegen Ausgrenzung und für Gleichheit und Freiheit eng miteinander verknüpft sind.

Andris Nelsons dirigiert das BRSO im Herkulessaal © BR | Astrid Ackermann
Andris Nelsons dirigiert das BRSO im Herkulessaal
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Kompositorisch könnten sie allerdings unterschiedlicher nicht sein. Beides handwerklich ausgefeilte Kompositionen, hat der längst verstorbene Zimmerman den politischen Stoff avantgardistischer, subtiler, vielschichtiger und anspruchsvoller verarbeitet. Zimmermann zitiert amerikanische Musik, bemüht beispielsweise eine Hammond-Orgel wundersam einsilbig mit einfachen melodischen Linien, während Simons amerikanische Musik erschafft und nicht nur darüber berichtet.

Simon ist Composer in Residence des John F. Kennedy Center for the Performing Arts, der größten Kulturinstitution der Vereinigten Staaten, die derzeit zum Leidwesen vor allem der KünstlerInnen von der amerikanischen Regierung kontrolliert und aufs Übelste zensiert wird. Simon zeichnet in seinen Werken die Vision einer besseren Welt, in der ohne Kampf die Freiheit obsiegt, jenseits der „systematischen Unterdrückung schwarzer Amerikaner“. Die frühkindliche Prägung durch Gospelmusik zieht sich durch alle seine Werke.

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Håkan Hardenberger im Herkulessaal
© BR | Astrid Ackermann

Bereits der erste Tanz, ein Ring Shout, verhieß exquisite musikalische Qualität. Virtuose Perkussionisten an Marimba- Vibra- und Xylophon, Röhrenglocken, Tamtam, Tamburin und Peitsche, synkopische Orchester-Passagen, brillant gespielt vom hellwachen Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Andris Nelsons, ergänzt durch das Blechbläserensemble des BRSO und Mitglieder der BRSO Orchesterakademie. Im Waltz wurde programmatisch bereits der Bogen zum zweiten Teil des Konzertabends gespannt, meinte man doch, Klangfetzen von La Valse zu vernehmen. Wie auch im von Ravel persiflierten, hochgezüchteten gesellschaftlichen Ritus der Bälle der vornehmen Gesellschaft vor allem in Wien und Paris, dienten die so genannten Cotillion-Bälle als Debütantenbälle der Einführung junger Frauen und Männer in die wohlhabende schwarz-amerikanische Gesellschaft. Nach dem dritten Tanz Tap!, bei dem ein Stepptanz durch Snare Drum und Holzblock imitiert, präzise wie ein Uhrwerk erklang, beschloss der Holy Dance diesen aufgeweckten Zyklus mit schmissigen Big Band Sounds der stolzen Blechbläser des BRSO.

Die zweite Predigt des Abends, das Trompetenkonzert von Bernd Alois Zimmermann, wurde interpretiert von Håkan Hardenberger. Der Trompeter verfügt über ein unfassbares Repertoire an Klangfarben, Schattierungen und facettenreichen technischen Finessen, die er trotz der enormen Schwierigkeiten mit großer Leichtigkeit und Gelassenheit darbot. Viele Passagen in diesem Solokonzert befinden sich lange in den höchsten Registern, was extreme Lippenspannung erfordert. Es gibt Einsätze aus dem Nichts in den höchsten Tönen, unmittelbar gefolgt von kammermusikalisch feinsinnigen Dialogmomenten mit unterschiedlichen Orchestermusikern. Hardenberger reüssierte, und wurde vom Publikum herausgefordert, eine Zugabe zu spielen. Er nahm den beim Zimmermann oft verwendeten Dämpfer gar nicht erst aus der Trompete, stellte sich ruhig und gelassen ganz vorne an die Bühne und spielte unendlich zart und berührend My Funny Valentine in einer Mischung aus Gefühl und Stille. Unaufgeregt, hochmusikalisch, bescheiden. Ein Musiker, der seinesgleichen sucht.

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Håkan Hardenberger und Andris Nelsons mit dem BRSO im Herkulessaal
© BR | Astrid Ackermann

So auch Andris Nelsons, der das BRSO konzentriert und feinfühlig dirigierte und wie immer beeindruckend gut vorbereitet hatte. Und das bei Stücken, die nicht jeden Tag gespielt werden und zudem zum Schwersten gehören, was die Orchesterliteratur zu bieten hat. Till Eulenspiegels lustige Streiche von Richard Strauss ist höchst anspruchsvoll nicht nur im Zusammenspiel, sondern auch in den einzelnen Stimmen. Das BRSO ließ seinen modernen, geschliffenen, vollen Orchester-Sound erklingen, der es zum FC Bayern unter den weltweiten Symphonieorchestern macht: Weltklasse auf jeder Position. So gab es grandiose Einzelleistungen: Die Hörner wieder einmal exzeptionell, aber auch die Solo-Klarinette, die Flöte, und so viele andere. Schelmisch, aufmüpfig, und dennoch beherrscht, teils ein bisschen zu gelassen virtuos. So war dann auch Maurice Ravels La Valse eine perfekt kontrollierte Parodie, die erst gegen Ende mit dem kollektiven Walzerrausch ihren Höhepunkt erreichte.

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