Welch eine Erholung! Gegen die Spätherbst– und Wintertristesse hat Jürgen Flimm uns und, wie er bekennt, auch sich selbst ein Wundermittel verordnet. Während es draußen vor dem Schillertheater,  dem Jahre währenden, vorzüglichem  Notquartier der Staatsoper unter den Linden, dauerregnet, entführt der alte Regiezauberer uns in den sonnigen Süden nach Cadiz, dem einst berühmten spanischen Kurort, der beliebten Sommerresidenz und erfüllt sich erneut einen Wunsch: er inszeniert seine Lieblingsoper Die Hochzeit des Figaro. Es ist ein großes Vergnügen, ganz im Sinne der Frohnatur Mozart.

Welch unterschiedliche Deutungen hat es zu Figaros Hochzeit gegeben, von biederen Varianten bis zu gesellschaftskritischen Interpretationen, bei denen selbst Strindberg bemüht worden ist. Solche Versuche waren und sind quälender Unfug. Mozart lag es nicht an der Vorstellung politischer Verhältnisse, sondern an den Menschen, die in diesen gesellschaftlichen Strukturen gefesselt waren. Er führt sie uns vor, gibt ihrem Leben liebenswert heitere Gestalt, zeigt, wie sie sich in ihren genormten Rahmen bewegten und diese Vorgaben auch zu umgehen suchten: Wenn der Graf das Recht der ersten Nacht zwar außer Kraft gesetzt hat, es aber dennoch bei der Zofe seiner Frau aufdringlich einfordert, so war das lange Zeit bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, gelegentlich auch danach, Realität. Mozart stellt seinen Grafen bloß – und Jürgen Flimm gibt ihn als Macho-Gecken mit einem Titel der Lächerlichkeit preis. Ein Macho und Aufschneider, der nicht begreifen kann, dass er längst durchschaut ist.

Das ist bei Jürgen Flimm elegant komisch, genau am Rand der Übertreibung gelöst, wenn der Graf Susanna durch einen Liegestuhl hindurch verfolgt, wenn Cherubino die hingegossene bereitwillige Gräfin beinahe verführt oder beim Versteckspiel in monströsen Kleiderschränken und Koffern. Die Frauen, Tändeleien nicht abgeneigt, halten in diesem köstlichen Intrigenspiel die Fäden in der Hand und bestimmen, was zu geschehen hat. Dabei geraten sie am Schluss im Dunkel der Nacht im Garten der Ferienvilla der Almavivas selbst in Verwirrung. Wer ist hier wer? Wer wispert, und flüstert, wer betört, wer fragt, wer umarmt, immer und überall Cherubino, wer verbirgt sich in den Kleidern – Susanna, die Gräfin? Ein Sommernachtstraum.

Die Staatskapelle war spielfreudig engagiert und folgte dem jungen Michele Gamba mit Verve; dieser wiederim gestaltete nuancenreich, frisch, frei,  wohl unbesorgter als Gustavo Dudamel, der nach Meinung von Kollegen eher nur an der Oberfläche dirigiert habe. Dazu ein gut gelauntes Ensemble von großer Spielfreude: Sylvia Schwartz, zur Zeit Gast am Haus, war innerhalb eines Tages für Anna Prohaska eingesprungen und hatte sich nicht nur stimmlich sondern auch im turbulenten Geschehen prächtig eingefügt. Eine beste Empfehlung. Dazu Ildebrando D'Arcangelo mit südländischer Präsenz, Dorothea Röschmann als Gräfin anrührend in ihrer Klage und Sehnsucht nach Liebe. Lauri Vasar als Figaro war eher bieder, ohne Schmelz, Marianne Crebassa darstellerisch und stimmlich als Cherubino ein Wirbelwind. Alles in allem musikalisch makellos eine Delikatesse.

Am Ende sind wir entzückt. Fröhlich, gut gelaunt spannen wir den Regenschirm auf und träumen uns in dieses farbenfroh-leicht hin getupfte musikalische Märchen von Vergnügen und Versuchung, das ein Happy End haben könnte – aber nicht muss. Dieser Herzog ist nach der für ihn beschämenden Maskerade der Frauen und dem Treuebekenntnis gegenüber seiner Gattin reumütig. Das bedeutet freilich nicht, er wäre kuriert. Wir können nur vermuten, die Dreifachhochzeit wird als großes Fest gefeiert.

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