Nun haben Sie es nach Herne geschafft, die Musiker des Concert Spirituel und Dirigent Hervé Niquet! Sollten sie letztes Jahr ihr Debüt bei den Tagen Alter Musik geben, mussten sie das Konzert wegen der katastrophalen Anschläge in Paris absagen. Auf dem Programm hätte Musik des Sonnenkönigs gestanden, doch unter dem diesjährigen Motto der Hommagen konnten sie dem royalen Glanz der Anlass- und Festmusik auch jetzt treu bleiben. Von Frankreich aber ging es nach Britannien, zu tief-würdigen Ehren zweier Königinnen und eines Komponisten, Henry Purcell, der das ganze Jahr schon wegen des Shakespeare-Jubiläums mit seiner Kunstfertigkeit im barocken Aufführungszentrum steht. Vor dem geistigen Auge konnte sogar ein großes In-memoriam-Wandeln in der Westminster Abbey entstehen, in der die Regentinnen, genauso wie die englischen Künstler (und Textdichter Dryden), in letzter Ruhestätte vereint sind.

Dass diese königlichen Umstände die musikalische Interpretation des Abends nicht vollends triggerten, trübte die grundsolide Darbietung, die in einigen der theatralischen Nummern zur Überzeugung gesteigert werden konnte. Sie ist besetzungs- und programmtechnisch größtenteils mutig zu nennen, wofür sowohl das Festival als auch Hervé Niquet berüchtigt sind. Der emotionale Funke, sei es in den Trauerfällen oder im Lebehoch, wollte aber nicht so überspringen, wie er aufgrund des Mutes und der Stücke Belohnung verdient hätte. Im Hier und Jetzt der theaterwerkstättlichen Bühne in Herne begann die Feierlichkeit in umgekehrter Chronologie mit Händels Funeral Anthem for Queen Caroline, um die Zuhörer mit dem Happy End der Geburtstagsode fröhlich gestimmt in die Nacht zu entlassen.

Nach der prozessionsschreitenden Sinfonia der solistischen Instrumentalgruppe aus Violinen, Viola, Cello, Orgel, Fagott, Laute und Basslaute, im zweiten Teil mit den beiden Oboen, die fortan die Stimmen der Trauergemeinde obligat untermalten, klagte der Chor in „The ways of Zion do mourn“ recht verhalten das Leid. Die Interpretation war auf das schlichte, trauervolle Nun-in-Worte-fassen-Müssen bedacht, auf das in seiner natürlich erschütternden Statik genauso angemessenes Augenmerk gelegt werden kann. Dabei entstand jedoch, entgegengesetzt zu einer Aufladung der ergreifenden Größe des besonderen Anlasses, der gefährliche Eindruck einer bemühten, äußeren Pflichtwahrung. Der aber zweifellos und ja bewusst herausgestellte, gnädig-trostersinnende Ton passte besser zu den typischen Fugensätzen Händel'scher Sakralarbeit aus dem ersten Abschnitt seines Oratoriums Israel in Egypt.

Hier war der Chor zum einen präsenter und fand durch die satzangelegte Akzentuierung des erinnerten Rühmens des königlichen Lebens zu inhaltlicher Übereinstimmung, zum anderen wurde aber mit einsetzender dynamischer Phrasierung und lebendigerer Ausgestaltung eine theatralische Grundlage geschaffen. So gelangen die relativ zügigen Chorumrahmungen des weiteren ersten Teils sowie vor allem „The righteous shall be had in everlasting rememberance“ in ihrem Duktus überzeugend. Trittfeste Bässe, warm-runde Altstimmen, sanft-strahlende Soprane, hell-milde Tenöre und spritzige Violinen erhellten in besungenem Maße die Gedanken.

Darin reihten sich nach dem leisen, endgültig-schmerzvollen, meiner Empfindung nach abermals noch wirkmächtiger herauszubringenden „The bodies are buried in peace“ die andachtsvollen, wunderschönen Sätze der salomonischen Bibelweisheiten ein. Mit dem abschließenden Hoffnungspsalm fand Le Concert Spirituel in seiner Ausdeutung homogen zum treffendsten Gegenstück, in nun eingebetteter Kräftigkeit widergespiegelt durch Ausdruck und Dynamik. Basierend auf der legato-getragenen Anlage des Anthems hätte sich die französische, weichere, sehnige Musiksprache des Ensembles als unterstützend erweisen können. In Bezug auf die vorgestellte, tröstliche Dignitas mochte dies auch stimmen; in Sachen Textverständlichkeit und Diktion leider nicht, von der trotz des solistischen Orchesters und des mit dreizehn Sängerinnen und Sängern sehr transparent besetzten Chores zu viel verloren ging.

In welchem Arrangement Purcells kurze Ode for the Funeral of Queen Mary auch gespielt wird, ob mit wiederholenden Märschen, vier Zugtrompeten oder wie in Herne lediglich mit zwei Chor- und Instrumentalsätzen, bietet sie Gelegenheit, sich mit der komponisteneigenen emotionalen, künstlerischen Tiefe gebührend auszuzeichnen. Allerdings blieb die erzeugende Spannung abermals eher im wohligen Interpretationsansatz stecken, wohingegen einerseits die akzentuiertere Canzona mit leidlicher Oboe und andererseits der Chor in „In the midst of life we are in death“ auf schmerz-harmonischem Teppich mit melodisch aufsteigenden Seufzern gen Himmel profitieren konnte.

Zumindest orchestral erfolgte mit der Geburtstagsode Come, ye Sons of Arts ein spürbarer Kontrast, der sich in der festlichen Präsenz der Trompeten und Pauken sowie den freudigen Harmonien der befreiten Streicher niederschlug. Das unterstrich auch Niquet, der – wie üblich – seinen schrittlichen Bewegungsradius ausweitete, um mehr Impulse zu geben. Der Chor dagegen konnte diese Befreiung nicht recht umsetzen, sodass er trotz der instrumentalen Vorlage im lieblichen, zurückhaltenden Bemühen des Trauergestus zu verharren schien. Zwar war wie im stimmlich schön intonierten „Sound the trumpet“ der Text diesmal besser verständlich, doch die nun besungene Freude im Ausdruck blieb aus. Nach dem vom Alt wunderbar adrett vorgetragenen „Strike the viol“ und weitergesponnenem Gefälligkeitsthema in Purcells instrumentaler Luftigkeit hatte sie vornehmlich der Bass gefunden, dessen Theatralik in „The day that such a blessing gave“ mit dem Einsatz zum tutti wieder verschwand und dann in der fast beschwipst-fröhlichen Bassarie nicht nochmal ausbrechen konnte. Mit festlichem Gavotte-Finale der Ode endete die Hommage versöhnlich.

***11