Beim Zürcher Kammerorchester (ZKO) ist Sir Roger Norrington als Principal Conductor zurückgetreten. Im Interregnum bis zur Saison 2016/17, in der Daniel Hope seine Tätigkeit als Musikdirektor des Ensembles aufnehmen wird, kommen weitere Engländer zum Zug: der Gastdirigent Richard Egarr (am Cembalo) eröffnete dieses Konzert mit Mozarts Symphonie KV129.

Egarr hat breite Erfahrung in historischer Aufführungspraxis, umso mehr hat mich in dieser Symphonie gewundert, dass das Tasteninstrument weitgehend Staffage blieb: abgesehen von gelegentlichen pro forma-Griffen in die Tastatur bevorzugte der Dirigent die Kontrolle durch Bewegungen mit Armen und Oberkörper. Mozarts Musik ist „komplett“ und bedarf keines harmonischen Füllers, das Orchester benötigt beim Spielen auch keine rhythmische Hilfe – dennoch erwarte ich beim frühen Mozart als Hörer das Stützen des Taktes durch das Cembalo.

 

Im ersten Satz wurde der zweite Teil nicht wiederholt, für einen Sonatenhauptsatz ist das sicher passend, und dass eine Fermate die Zäsur vor der Reprise verdeutlichte, erleichterte dem Hörer die Orientierung. Die kurze Cembalokadenz nach dem ersten Satz schien mir dagegen wenig hilfreicher Einschub, zumal sie auf dem Schlussmotiv des Allegro basierte und abgesehen vom harmonischen Übergang nicht auf den Folgesatz vorbereitete. Das Andante in einem ansprechenden Schrittmaß war dynamisch differenziert, mit einigen unterhaltsamen Zusatzschlenkern und pausenfüllenden Überleitungen im Cembalo.

Abgesehen davon hörten wir vor allem in den schnellen Sätzen eine solide Interpretation mit kompaktem, warmem und rundem Klang, ohne Ecken und Kanten, wie erwartet ohne Vibrato, in einem natürlichen Zeitmaß, mit relativ weicher Artikulation und ohne Show-Effekt. Es wurde virtuos musiziert, aber der Klang war eher dicht, das Orchester etwas zu groß für eine so frühe Symphonie. Nach der Erfahrung von Roger Norringtons Aufführungsstil mit diesem Klangkörper hätte ich mir oft mehr Biss, mehr „Amadeus“ gewünscht!

Als danach der englische Cellist Steven Isserlis das Podium betrat, wandelte sich das Bild. Das Erste Cellokonzert von Haydn verleitet zu solistischen Höhenflügen, wenn nicht gar zu virtuosem Exhibitionismus. Nichts dergleichen bei diesem Meister seines Fachs! Bereits in der Orchestereinleitung gewann er die Sympathie des Auditoriums damit, dass er den Tutti-Part über weite Strecken mitspielte, mit der Musik und dem Orchester lebte. Und erst der Solopart – ein derartiges Vergnügen zum Mitverfolgen! Nichts war extrovertiert, keine Show, der Solist lebte in dieser Musik, hörte selbst beseelt in sie hinein. Er brachte mit dem ausgesprochen weichen, differenzierten und ausgewogenen Klang seines Stradivari-Cellos die Musik zum Singen, ließ sich von ihr mittragen, gab sich völlig dem Spiel hin; so sehr, dass er oft unwillkürlich mitdirigierte.

Dabei blieb sein Agieren unprätentiös: Isserlis spielte mit sparsamem Vibrato, nie schien er aufzutrumpfen, meist bewegte er sich zwischen f und p, das Instrument trug auch im pp und bei minimalen Bogenbewegungen noch problemlos (natürlich auch dank Haydns umsichtigem Orchestersatz). Selbst die Kadenz (Isserlis) blieb verspielt und passte ausgezeichnet zum Werk. Der Solist hat technische Fragen längst hinter sich gelassen und konnte es sich leisten, im Werk ganz aufzugehen. Im Adagio gilt das Gesagte noch viel mehr; hier erlebte man eine heitere, versonnene Traumwelt, introvertiert, oft ins pp / ppp versinkend. Der Solist konnte wunderbare Spannungsbögen gestalten, Haydns Modulationen nachspüren: Spiel von einer anderen Welt, Momente unsäglichen Glücks, und eine absolute Sternstunde!

Mit Boccherinis Drittem Cellokonzert stand nach der Pause ein Werk der gleichen Gattung auf dem Programm, das sich jedoch vom vorangehenden stark unterscheidet. Der Solopart ist verschieden gelagert, die Komposition scheint sich eher an der spätbarocken Ästhetik zu orientieren; zudem entspricht Boccherinis Orchestersatz eher einem Kammerkonzert: über weite Strecken begleiten nur Violine I + II, Bläser sind keine vorgesehen. Allerdings erschloss sich mir nicht, warum die Begleitstimmen mit je zwei Instrumenten besetzt wurden: Solo- oder Dreifachbesetzung wäre kein Problem, aber zwei Violinen im Einklang sind nicht ideal, und tatsächlich litt die Homogenität der Streicherstimmen darunter deutlich.

Andererseits jedoch kamen die intimen Qualitäten von Isserlis' Spiel noch mehr zur Geltung, und im Adagio fühlte ich mich in die Stille einer Mondnacht versetzt. Die virtuosen, eher kurzen, aber wohladaptierten Kadenzen der schnellen Sätze (wiederum Isserlis' eigene) schienen hier etwas auffälliger, aber nur, weil das Konzert an sich einfacher gestaltet ist. Der Solist belohnte sein Publikum mit dem Song of the Birds von Pablo Casals – stilfremd, aber dennoch wunderbar passend zu seinem Spiel und zu den langsamen Konzertsätzen.

Haydns Symphonie Nr. 68 schließlich, in diesmal sehr angebrachter, voller Besetzung, war klar der Glanzpunkt für das Orchester. Mir gefiel das flüssige Zeitmaß in den ersten zwei Sätzen (das Menuett blieb tänzerisch, wirkte nicht zu gemütlich), die Reduktion auf ein Concertino in Teilen des Trios. Im Adagio cantabile spielen die Violinen con sordino: die Artikulation war leicht, mit ausgeprägten dynamischen Kontrasten – eine kompositorische Delikatesse und ein interpretatorisches Kabinettstück, superb gespielt und wunderbar gestaltet, mit vielen intimen, aber auch heiter-dramatischen Momenten, manchmal an bäurische Folklore erinnernd. Der Schlusssatz geriet zum derben Kehraus: ein virtuoser Gag, allerdings wohl etwas zu schnell. Verzierungen wirkten hier oft oberflächlich, die Bläser in der Artikulation manchmal überfordert. Dennoch hat uns das ZKO mit diesem Konzert einen weiteren Höhepunkt beschert: herzlichen Dank!

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