„Dem europäischen Krieg werden wir nicht entgehen, und er wird uns verschlingen. Er wird nicht morgen kommen, aber er kommt“, so Giuseppe Verdi im Entstehungsjahr seiner Aida. Bereits im Juli 1870 war es zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Deutschland gekommen, ab Mitte September wurde die französische Hauptstadt belagert. Die in Paris aufwendig hergestellten Kostüme sowie das Bühnenbild für das zur Eröffnung eines neuen Opernhauses komponierte Werk können nicht mehr in das ferne Kairo gelangen. Die Uraufführung seines italienischen Musikdramas, Zeichen der imperialistisch geprägten Öffnung des Nahen Ostens, verzögerte sich um ein ganzes Jahr.
War es zu Beginn des 18. Jahrhunderts durch die Expeditionen Napoleon Bonapartes zu einer im Westen vorherrschenden Ägyptomanie gekommen, so übertrug Verdi gemeinsam mit seinem Librettisten Antonio Ghislanzoni die kollektive Angst vor dem kulturellen Wandel auf die Zeit der Pharaonen. In der ersten Premiere dieser Spielzeit wird sie am Nationaltheater Mannheim zur Quintessenz von Roger Vontobel. Unter dem reich gestalteten, Macht und Ohnmacht entfesselnden Dirigat Alexander Soddys entstand eine Aida, die in einer kongenial geschaffenen Bildwelt zwischen ägyptischem Prunk und sportivem Jogginganzug unsere vom Kolonialismus geprägte Gesellschaft in Frage stellt.
Zum Schauplatz für staatspolitische Selbstdarstellung und herrschaftliche Machtdemonstration wird eine Arena. Auf den hohen Rängen der von Palle Christensen entworfenen Stahlkonstruktion findet sich das Volk in langen, hemdartigen Leinengewändern als homogene Masse zusammen. Unter ihnen verkörpert Radamès mit weißen Sneakern, Jogginghose und Brille einen Außenseiter. Ebenso wie Aida in ihrer grauen, farblos wirkenden Wollweste steht er am Rande der Gesellschaft; beide gehörten im Kunstraum Oper einer urbanen Subkultur an. In einem versteckten Winkel unterhalb der Tribüne, die sich auf der Drehbühne immer wieder in Bewegung setzt, hat die äthiopische Prinzessin Zuflucht gefunden. Ihre Lagerstätte wird zum Sehnsuchtsort zweier Liebender, deren Möglichkeit eines Beisammenseins vor dem Hintergrund der Instrumentalisierung von Religion zum Machtinstrument zerbricht.
Auch Amneris hat ihren Bestimmungsort im Kulissenbau gefunden. Dort liegt die ägyptische Königstochter von ihren Sklavinnen umrahmt im prachtvollen Gewand gleich einer Odaliske ausstaffiert auf einer grauen Polsterbank; Radamès muss im olivgrünen Anzug eines Sprengsatzexperten in die Schlacht gegen das äthiopische Volk und dessen König Amonasro ziehen. Nina von Mechows Kostüm wird zur Metapher eines kaum zu überwindenden Gesellschaftskonflikts, den Radamès nicht mehr entschärfen kann. Als er in einer schwarzen Galabija siegreich heimkehrt, führt er die Gefangenen und Amonasro, der im Zuschauerraum des Nationaltheaters entdeckt wurde, auf die Bühne.
Die Masse des Volkes wird im feierlichen Triumphmarsch zum Träger eines kollektiven Ornaments im politischen Propagandastil Nordkoreas. Immer wieder flackert die Aida-Trompete auf goldenem Hintergrund zu den Fanfaren auf. Doch bei der Formierung unterschiedlichster Mosaikbilder müssen die aus der Gesellschaft Ausgeschiedenen versagen. Auf weißen T-Shirts mit dem Emblem einer ägyptischen Protestbewegung – eine schwarze Hand mit vier ausgestreckten Fingern und eingezogenem Daumen – bekunden sie ihre Solidarität mit den Gefangenen. Dem ägyptischen König werden das herrschaftliche Gewand und die weiße Krone des Pharaos gewaltsam entrissen. Auf einem Banner sind die Worte „ce la faremo“, wir schaffen das, zu erkennen.