Pina Bausch. Kaum ein anderer Name steht in der deutschen Tanzszene mehr für Innovation, mehr für eine Befreiung der Emotionen aus dem Korsett des klassischen Balletts. Doch die Charakterstücke der Wuppertaler Choreographin galten nach ihrem Tod 2009 wegen des hohen individuellen Anspruchs an die einzelnen Akteure quasi als verloren. Die Bayerische Staatsoper hat sich im Rahmen der Ballettfestwochen 2016 an das Undenkbare gewagt und hat das Bausch Stück Für die Kinder von gestern, heute und morgen übertragen.
Ein ganzes Jahr hat es gedauert, das Stück, welches 2002 erstmals im Tanztheater Wuppertal aufgeführt wurde, einzustudieren. Das Mammutprojekt wurde von den Wuppertaler Interpreten Ruth Amarante, Daphnis Kokkos und Azusa Seyama intensiv begleitet. In mühevoller Einzelarbeit wurden die Rollen übertragen, adaptiert, stets mit dem Anspruch, die ursprüngliche Identität nicht zu verlieren. 15 Münchner Tänzer präsentierten so Pina Bausch im völlig neuen Umfeld und aus einer neuen Perspektive.
Spannend war es zu sehen, wie die technische Perfektion des bayerischen Ensembles den Charakterrollen eine ganz neue Ebene verlieh. Sentimentale Sanftmut wurde durch kontrollierte jugendliche Ästhetik ersetzt. Die große emotionale Tiefe und Wucht eines Lutz Förster oder einer Nazareth Panadero ging freilich verloren. Bei einem anderen Stück hätte dies vielleicht befremdlich gewirkt, doch passte es hier zum generellen Leitgedanken. Kindlicher Spieldrang, jugendliche Aufmüpfigkeit und adoleszente Liebeleien wurden in kurzen Partien illustriert, aber nicht durchdekliniert. Eine echte Handlung gibt es nicht. Für die Kinder von gestern, heute und morgen ist vielmehr eine Collage aus vielen kurzen Episoden der menschlichen Beziehung; mal als Duett, mal in der Gruppe, aber auch im intimen Solo. Selten hat man das Bayerische Staatsballett so facettenreich gesehen.
Schlittern, schunkeln, schieben – das Ensemble nutzte die volle Bandbreite der Bausch'schen Bewegungsfreiheit aus. Rhythmisch virtuos, manchmal sogar melancholisch, neigten sich die Körper zu den Klängen von Prince, Nina Simone oder argentinischem Tango. Wer Spitzenschuhe erwartet hat, der musste sich wohl mit den knalligen Lackpumps (Kostüm: Marion Cito) begnügen, in denen die Solistinnen trittsicher über die reinweiße Bühne von Peter Pabst staksten. Besonders im zweiten Teil zeigten sich die verschiebbaren Wände und Türen eindrucksvoll variabel, wurden dann aber mehr zu Staffage und verloren die große Freiraumwirkung.