Als Opernhighlight, als besonderes kulturpolitisches Ereignis, wurde schon vorab die Uraufführungen der beiden Opern Abends am Fluss und Hochwasser von Johannes Harneit und Gero Troike gefeiert. Nicht nur erlebten hier Opern ihre Erstaufführung, die aus der Zusammenarbeit eines westdeutschen Komponisten mit einem ostdeutschen Librettisten erwachsen waren, sondern auch Werke, die an den kulturpolitischen Umständen ihres Entstehungs- und ursprünglich angedachten Aufführungsortes Leipzig gescheitert waren. Umso spektakulärer war die Leistung des Heidelberger Opernensembles, das diese beiden in der Tradition des Absurden Theaters stehenden Opern in ihrer politischen Brisanz und Aussagekraft provokant und überzeugend darstellte.
Wasser als Fluss der Zeit, als Element, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft heranspült und hinwegschwemmt, Wasser als Pol der Hoffnung, der Leben verändern soll aber letztlich zerstört – Wasser als verbindende Metapher der beiden Werke. Abends am Fluss bediente sich der Metapher des Wassers als fließende Zeit; Geschichte stieg aus dem Fluss auf und einzelne Bilder, die ebenso fragmentiert waren wie die aus Wortreihungen bestehende Sprache. Die Musik, gemeinsam mit beweglichen Bühnenelementen und dem Chor, versinnbildlichte diesen Fluss.
Das Orchester verteilte sich im Orchestergraben und auf den Rängen und erzeugte so eine räumliche Klangwirkung, die den Hörer im Sinne eines Flusses mitriss. Der Komponist unterstützte dies durch die dialogartige Verteilung der Motivik auf die Instrumentengruppen. Der Klang wanderte im Raum, wanderte um den Hörer, schien zu fließen. Diese Klangwirkung ließ die Musik so außergewöhnlich werden. Ihre moderne Idiomatik wurde zu einem verständlichen Element, sie band den Zuschauer in das fließende Geschehen auf der Bühne mit ein.
„Ich war, ich bin, ich werde sein,“ mit diesem von Ferdinand Freiligrath entliehenen Ausspruch Rosa Luxemburgs, der auf dem Bühnenbild erschien, wurde man der politischen Dimension des Werkes schon vom ersten Moment an gewahr. Aus dem Fluss erhoben sich vier Archetypen; ein Greis, ein Wunderkind, eine Frau und ein Hund. Sie alle waren, sind, werden sein: Der zunächst politische Ausspruch aus dem sozialistisch-revolutionären Kontext erhielt so eine existentielle Dimension, wurde vom Abstraktum zum Persönlichen. Jede dieser Figuren sang diesen Ausspruch in einer der Sprechmelodie nachempfundenen Melodik, die durch die Wiederholung einzelner Worte bis hin zu Phonemen verfremdet wurde. Fast mechanisch und unmenschlich wirkte so ein zunächst traditioneller Operngesang. Angus Wood, Irina Simmes, Tomas Möwes und Namwon Huh modulierten ihre Stimmen meisterhaft und stellten alle Facetten zwischen Operngesang, Sprechgesang, Schreien, Weinen und jener unmenschlich wirkenden Stimmfärbung überwältigend dar, mit Unterstützung vom Orchester.
Auf einer fließenden, atonalen Tonfläche entwickelten sich mal kleine, kreisende Motive, mal ostinat repetierte Tonlinien, mal skalare Folgen, die im Raum umherwanderten. Besonders präzise und klangschön interpretierten die Bläser, deren Ausdrucksbreite von den bedrohlichen, dissonanten Einwürfen der Trompeten im Angesicht des unausweichlichen Todes bis hin zu den gedämpften, surreal verzehrten Motiven beim Auftritt des Hundes reichte.
Verschiedene Szenerien stiegen aus dem Fluss herauf: Ein Friedhof, eine DDR-Flagge, eine Familienszene, eine Küche im 60iger Jahre Stil, ein Kaufhaus namens „Paradies“, eine kapitalistische Persiflage auf die Schöpfungsgeschichte, ein gefängnisartiger Käfig, in dem man Sigmund Freud zu sehen glaubte, eine Vergewaltigungsszene. Es waren Momente der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, die sich hier dem Zuschauer darboten. Manche waren an Provokation kaum zu überbieten – etwa als der Kinderchor Zeuge sexueller Handlungen oder die Schöpfungsgeschichte nacherzählt wurde: „Freizeit“ rief der Chor am siebten Tag, während das Orchester zum Fortissimo crescendierte und das Bühnenbild sich in einen 100-Euro-Schein wandelte.