Eine Grundfrage zur Ästhetik der Musik der Zeit nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges ist die, wie viel Schrecken die Musik verträgt bzw. wie sie diesen Schrecken wiederspiegeln soll. Dieser Aspekt begegnet einem immer wieder, wenn man die Oper El Juez. Los niños perdidos auf ein ins Spanische übertragenes Libretto von Angelika Messner, in Musik gesetzt von Christian Kolonovits, betrachtet. Eines ist sicher: der Librettistin und dem Komponisten ist eine gefällige Oper gelungen, die zutiefst berühren kann. Es bleibt allerdings die Frage, ob die Musik die im Stoff angesprochene Problematik verharmlost.
Um diese Fragen beantworten zu können, muss man sich zunächst Sujet, Handlung und Musik der für José Carreras geschaffenen Oper vor Augen führen. Aus stofflicher Perspektive wird da harte Kost geboten. Thematisiert wird ein erst jüngst eingehender beleuchtetes Thema, nämlich die großangelegte, staatlich gesteuerte Entführung von Kindern aus deren Familien und deren Umerziehung, ja Gehirnwäsche im Kloster. Der Richter Federico Ribas wird in der vieraktigen Handlung in die Verstrickungen seiner eigenen Vergangenheit hineingezogen, da er, was er aber nicht weiß, ein solches entführtes Kind ist. Sein Widersacher entpuppt sich dabei letztlich als sein Bruder und gerade, als er ihm nahe wäre, wird dieser erschossen und verstirbt.
Die Musik bildet zu dieser Handlung einen Kontrapunkt. Das soll aber nicht heißen, dass Christian Kolonovits, zu dessen Vergangenheit der Austropop gehört und der schon mit mehreren Musiktheaterwerken (auch als Arrangeur) auf sich aufmerksam gemacht hat, nichts einfiele. Ganz im Gegenteil: Seine 2014 uraufgeführte Partitur strotz vor Ideen und erweist sich, manchmal etwas zum Kitsch tendierend, als eine Fundgrube, vor allem auch des spanischen Kolorits. Dabei ist sie tonal gehalten und das Stück könnte man im Ganzen als eine Art Crossover-Oper klassifizieren, die sich nicht in das Korsett von Oper oder Musical zwängen lässt. Die verschiedenen Welten der Oper werden dabei mit eigenen Stilen erzeugt, so dass der Liedermacher Alberto García beispielsweise mit seinem Lied vom Seidenschal identifiziert wird, während der Geheimdienstvizepräsident in einer Welt von kantigen Marschrhythmen existiert. In den Liebes- und Überredungsszenen hingegen prägt ein Hauch Puccini - Kolonovits gibt dessen Tosca als Inspirationsquelle auch an.