Es gibt Abende, da wird die Geduld von Opernfreunden in Bezug auf Regisseure ziemlich strapaziert. Man will ja nicht unbedingt gepuderten Zöpfen und geflügelten Helmen das Wort reden (wiewohl ein Gallier-Helm am besprochenen Abend tatsächlich zu sehen war!), aber ein halblustiges Pasticcio aus Regietheaterklischees ist auch keine Lösung. Wenn man schon eine Opernrarität auf die Bühne bringt (noch dazu eine, die musikalisch einiges hermacht), sollte man seine Energie und Kreativität in die Vermittlung des Charakters des Stückes stellen, und weniger in pseudo-intellektuelle Selbstdarstellung.
In La vestale geht es um die Problematik eines Einzelschicksals und dessen Zusammenhang mit einem kollektiven Schicksal, und die Verflechtung von Religion und säkularer Macht: Julia, zwangsweises Mitglied einer elitären Priesterinnen-Riege, kann ihr Keuschheitsgelübde nur so lange einhalten, bis ihr Geliebter aus einem jahrelangen Krieg zurückkehrt. Damit sind die Regeln des römischen Staates gebrochen. Aber wie sollen Menschen nach unmenschlichen Regeln leben?
Die Inszenierung von Johannes Erath am Theater an der Wien thematisiert das sehr wohl, lässt den Abend jedoch zu einer Revue an kulturgeschichtlichen Zitaten verkommen. Diese mögen gut überlegt sein, sind aber in Summe einfach zu viel – auf dem schmalen Grat zwischen Bedeutungsschwere und Lächerlichkeit rutscht man oft in letztere ab. Wenn man etwas Positives in dieser Arbeit entdecken will, kann man eine immerhin vorhandene Personenregie und gut geprobtes Timing erwähnen, und auch in der Symbolik des zweiten Aktes wird man fündig: Bühnenmittelpunkt ist eine große Multifunktionsmadonna, die ein leuchtendes Herz im Arm hält. Die Vestalin nimmt es an sich, woraufhin es in der Liebesszene mit Licinius aufflammt und verglüht – ein poetischer Anblick unter den sonstigen Grellheiten, und in seiner Aussage werktreu dazu (laut Libretto verlöscht die ewige Flamme im Vesta-Tempel). Auch der Idee, den kegelförmigen Madonnenmantel als Grabkammer zu nutzen, kann man einiges abgewinnen, ebenso dem Kostümwechsel von Weiß zu Schwarz, mit dem der Stimmungswechsel der Vestalinnen gezeigt wird, als Julia ihr Kollektiv verrät.
Allerdings haben sich bis dahin schon zu viele im Publikum über das Gesehene geärgert, sodass auch diese prinzipiell gelungenen Szenen unter ihrem Wert geschlagen werden. Der Rest des Abends enttäuscht dann aber auch die bis dahin Unverdrossenen, denn da wird der Symbole-Klamauk des ersten Aktes noch gesteigert.
Wenn La vestale im Programmheft als Missing Link zwischen Gluck und Berlioz bezeichnet wird, so kann man das streckenweise nachvollziehen, andererseits klingt sie manchmal weniger nach Grand opéra, sondern nach Wiener Klassik. In einer Art Abspann, in der die Musik nach dem letzten gesungenen Ton noch für mehrere Minuten weiterläuft (und in der auf der Bühne so absurde Dinge wie die Ermordung des Pontifex durch die Ober-Vestalin stattfinden), wähnt man sich gar bei Kammermusik mit Harfe. Richard Wagner war jedenfalls ein Fan und studierte La vestale 1844 in Dresden höchstpersönlich ein, zudem hat er sich aus dem zweiten Akt das Schicksalsmotiv für seinen Ring abgehört, und ein solches Wiederhören macht natürlich Freude.