Bisher präsentierte sich das Berliner Ultraschall Festival für neue Musik eher in einer „offenen“ Form, das heißt außer Fokussierungen auf einen bestimmten Komponisten gab es keine eindeutig festen Schwerpunkte zu bestimmte Klangkategorien. Vielfalt war eine Faszination bei den Programmen des Festivals, doch steht in diesem Jahr der gemeinsame Schwerpunkt „Stimme“ im Zentrum.
Der Berliner Komponist Erhardt Großkopf verglich seine Komposition KlangWerk 11 für Orchester mit einem Hausbau, bestehend aus „Zeitproportionen und Klängen“, und er hoffe, „dass die Musik einzieht“. Der Prozess dieses musikalischen Hausbaus war sehr rational und mathematisch aufgebaut; im Kurzgespräch mit Moderator Andreas Göbel aber verriet er, dass er je nach Stelle die mathematischen Ergebnisse klanglich korrigiert hatte. Aber welche Vorstellung hatte der Komponist für die Musik, die er als Haus bezeichnet? Iannis Xenakis legte in den 60ern die Verbindung von Musik und Architektur überzeugend dar, es gibt jedoch Schwierigkeiten, wenn man die Musik mit Architektonischem vergleichbar macht und steht der visuell-dreidimensionalen Architektur als primär auditive Raumkunst gegenüber.
KlangWerk 11 beginnt tonal dominant und der Einsatz von Schlagwerken öffnet zunächst die Tür zu einer atonalen Welt. Die Musik fließt zum größten Teil gemütlich und bescheiden dahin und wird hin und wieder rhythmisch und von dynamischen Extremen unterbrochen. Klänge werden grundsätzlich durchhalten und schrittweise aufgebaut, wobei keine dynamische Klimax entsteht, denn der Klang entfaltet sich auch im Kontinuum als feine, schlichte musikalische Struktur. Am Pult des vorzüglich spielenden Deutschen Symphonie Orchesters (DSO) stand dabei Johannes Kalitzke, der an diesem Abend auch die Uraufführung seiner eigenen Komposition story teller leitete. Sie ist nach Tim Walkers Fotobuch benannt, das er als Inspirationsquelle benutzte. Man kann Walkers fotographische Ansätze wegen seiner mehrdeutigen bildlichen Botschaften für surrealistisch oder exzentrisch halten, was auch an Filme des Regisseur Tim Burton erinnert. Kalitzkes Werk setzt sich damit auseinander, und tatsächlich gab es Bezüge zwischen Musik und Surrealismus, allerdings waren dies meistens gedankliche und selten klangliche Verknüpfungen.
Für seine neue Komposition wählte Kalitzke die Gattung Cellokonzert aus, die in der Musikgeschichte auf eine lange Tradition zurückblickt und manchem schon fast veraltet scheint; dennoch entwickelte er damit einen neuartigen Sound, den man vielleicht surrealistisch nennen könnte. In dem sechssätzigen Konzert mit Satzbezeichnungen schaukel, eiserne puppe, manhattan, butterfly, bett im licht, ruinenfee und panic room erklang der elektronische Sound einer E-Gitarre und eines Sampler indifferent, andererseits aber auch harmonisch quasi unisono gegenüber der Zeitachse des Solocellisten und des akustischen Orchesters. Da sich der elektronische Sound als Reizfaktor im Werk von den akustischen Instrumenten im Timbre eindeutig unterscheidet, verbreitete sich bei jedem Einsatz dieses Klanges eine verlockende, seltsam exzentrische, fast surrealistische Atmosphäre. Cellist Johannes Moser, der die Musik vom Barock bis heute meistert, ließ sein Guarneri-Cello vor allem in tiefen Lagen prachtvoll ertönen und seine Tonklarheit mit dem intimen Vibrato führte zu dem ein oder anderen Seufzer im Saal.