Obsession, Selbstmord und sexueller Missbrauch: Zum Saisonauftakt wartete das Theater an der Wien bei der Opernrarität Hans Heiling zwar mit schweren Geschützen auf, der Abend verlief trotzdem vollends skandalfrei.
Erzählt wird in Heinrich Heinrich Marschners 1833 uraufgeführter Oper die Geschichte des Erdgeistes Hans Heiling, Sohn der Königin der Erdgeister, der sich in die sterbliche Anna verliebt. Seine Mutter will ihn jedoch nicht gehen lassen, der Angebeteten ist er trotz teurer Geschenke unheimlich, und sein Nebenbuhler Konrad macht ihm zusätzlich das Leben schwer. Schließlich greift die Königin der Erdgeister ein, berichtet Anna von der wahren Natur und den Unterweltwurzeln Heilings, woraufhin sie sich Konrad zuwendet. Bei der Hochzeit der beiden versucht Hans ein letztes Mal Annas Gunst zu gewinnen, jedoch mit mäßigem Erfolg, und chließlich kann ihn seine Mutter davon überzeugen, mit ihr zurück in die Unterwelt zu kommen. Auf eben jene Erdgeister und die zu Marschners Zeit so beliebte Schauerromantik verzichtete Regisseur Roland Geyer jedoch in seiner Sicht auf das Werk.
Er deutet das Märchen tiefenpsychologisch und in düsteren Bildern als Metapher für reale menschliche Abgründe. Die Liebe der Mutter zu ihrem Sohn interpretiert er als inzestuöses Missbrauchsverhältnis, den Chor der Erdgeister als innere Stimmen der Protagonisten und die finale Rückkehr in die Unterwelt als Selbstmord Heilings. Die Geschichte an sich hätte also durchaus einiges an Spannungspotenzial zu bieten, auch wirkte Geyers entromantisierte Inszenierung stimmig, wenn auch für meinen Geschmack ein wenig zu brav und zu wenig drastisch. Die Figuren blieben zum Großteil blass, was einerseits an der Personenregie lag, zu einem Gutteil aber auch dem Libretto geschuldet war, das die Charaktere hohl wirken ließ.
Ähnlich verhielt es sich zudem mit Marschners Musik: Spannend ist in erster Linie die musikalische Form. So folgt etwa die Ouvertüre erst nach dem durchkomponierten Prolog, in den folgenden drei Akten werden die Nummern von Dialogen bzw. Rezitativen verbunden. Darüber hinaus finden sich in Marschners romantischer Komposition einige Stellen, die klar auf Wagner vorausweisen, etwa in Gertrudes Monolog im zweiten Akt. Spannung, Emotion oder die Darstellung der Gefühlswelten der Personen sind allerdings die ganze Vorstellung über bei mir nicht wirklich angekommen, was jedoch mehr an Marschners Werk lag als an der stellenweise enorm packenden musikalischen Umsetzung.
Constantin Trinks kehrte am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien bei straffen Tempi die dunklen Seiten der Partitur hervor, was hervorragend mit der Lesart Roland Geyers harmonierte, wobei besonders die tiefen Bläser und Streicher bedrohlich auflodern konnten. Zu einem Höhepunkt wurde die Ouvertüre, die farben- und bilderreich die Jugend Hans Heilings und das problematische Mutter-Sohn-Verhältnis illustrierte, und durch die Trinks das Orchester, je mehr sich die Handlung zuspitzte, richtiggehend peitschte. Eine grandiose Leistung lieferte auch der Arnold Schoenberg Chor: Als innere Stimmen bzw. Dämonen der Figuren sorgten sie optisch und gesanglich für gruselig stimmungsvolle Momente und beeindruckten dabei mit feinen Piani und meisterhaften Crescendi und Decrescendi. Allein des Chores wegen lohnt sich ein Besuch dieser Vorstellung!