Jenůfa erwartet ein Kind von Števa, dem jungen Mühlenbesitzer, doch der ist mehr an anderen Mädchen interessiert. Sein Halbbruder Laca liebt Jenůfa so sehr, dass er ihr aus Eifersucht mit einem Messer die Wange verletzt. Ihre Stiefmutter, als Küsterin des Dorfs ebenso bigott wie moralstreng, versteckt die schwangere Jenůfa vor dem Dorf und ertränkt das neugeborene Kind im Teich. Es ist eine grausame Geschichte glühender Leidenschaften, die in dem 1890 uraufgeführten Drama „aus dem mährischen Bauernleben” Její Pastorkyňa (Ihre Ziehtochter) von Gabriela Preissova erzählt wird. Leoš Janáček hat sie so bewegt, dass er sie zur Vorlage für seine Oper machte.
Vom mährischen Bauernleben ist in der Inszenierung an der Berliner Staatsoper allerdings nichts mehr übrig geblieben. Statt der bäuerlichen Atmosphäre einer Mühle in den Bergen herrscht hier die bedrückende Enge einer kleinbürgerlichen Familie aus gar nicht so ferner Zeit, als uneheliche Kinder noch als Dorfschande galten. Paolo Fantin hat für die Inszenierung einen abgezirkelten Raum aus milchigen Plastikwänden geschaffen, nur schemenhaft lichtdurchlässig und unangenehm kalt und abweisend. Ein paar schlichte Bänke, später ein spießiger Teppich, eine Baby-Wiege und immer anwesend ein kleiner Altar mit Monstranz, Kerzen und einem Kreuz – mehr Requisiten braucht es für Regisseur Damiano Michieletto nicht, um aus dem naturalistischen Sozialdrama Preissovás und Janáčeks die Analyse einer Familie in einer zwanghaft an überkommenen Normen fixierten Gesellschaft zu machen – in solch aseptischer Umgebung höchst konzentriert und psychologisch genau. Nicht einmal der Chor erscheint auf der Bühne, sondern singt aus dem Off.
Im Februar 2021 konnte die Produktion pandemiebedingt nur virtuell als Livestream gesehen werden, in veränderter Besetzung fanden in diesen Wochen nun Aufführungen vor Publikum statt. Und mehr noch als am Fernseher oder PC wirkte die Inszenierung beklemmend dicht und berührend zugleich. Denn großartige Sängerdarsteller standen auf der Bühne der Staatsoper, allen voran Asmik Grigorian in der Titelrolle, gleichermaßen hinreißend in Darstellung und Gesang.
Grigorians Jenůfa ist eine moderne Frau, selbstbewusst, verletzlich, am Schluss durch Unglück gereift und zum Verzeihen bereit. Eine Wandlung, welche die Sängerin faszinierend verkörperte. In ihren Monologen, vom Komponisten zu seelischen Minidramen gestaltet, spielte sie die Facetten der Figur aus, sang mit höchster Empathie für die Rolle deren Ängste und Qualen heraus. Ebenso intensiv kostete sie die wenigen Momente von Zärtlichkeit für ihr Kind aus, die ihre Stiefmutter aus Angst vor der Schande ihr missgönnt.
Zurecht bemerkte der große Opernregisseur Götz Friedrich, Janáčeks Figuren seien niemals eindimensional. Auch die Küsterin ist es nicht. Verhärtet und abweisend nach außen (im hochgeschlossenen schwarzen Kostüm mit einem Kreuz am Revers) zeigte Dalia Schaechter diese Frau als zwanghaft in ihrem moralischen Korsett gefangen. In einem Anfall von blasphemischer Hybris redet sie sich den Mord an Jenůfas „Kind der Sünde” als gottgefällige Tat ein. Innerlich aber wird sie von Schuldgefühlen zerrissen, die sie an den Rand des Wahnsinns bringen, aber am Schluss doch noch zu schonungsloser Reue bereit machen. Hart und bis zum Verzweiflungsschrei expressiv sang Schaechter diese Partie und schonte sich auch nicht in der überaus fordernden Darstellung der Rolle. Ein überaus packendes Rollenportrait.