Das Berliner Klavierfestival, welches bereits zum dritten Mal stattfindet, wartet auch dieses Jahr wieder mit großartigen Künstlern und einer erlesenen Programmauswahl auf. Den Anfang machte der russische Klavier-Großmeister Nikolai Lugansky, der erstaunlicherweise noch nie mit einem Solo-Rezital in Berlin zu hören war. Die Liebhaber exquisiter Kammermusik, welche an diesem lauen Frühsommerabend das wunderschöne Berliner Konzerthaus zur Gänze füllten, wurden für Ihr Warten reich belohnt. Ein reifer Künstler führte durch ein fein komponiertes Programm ebenso reifer Klaviermusik, das keine Wünsche offenließ.
Der Abend begann mit César Francks Prélude, Choral et Fugue. Auf dem Zenit seines Schaffens schrieb der belgische Komponist im Jahre 1884 das Prélude und die Fuge op. 18, die einen musikalischen Rahmen für den später hinzugefügten Choral bilden. Franck komponierte diese Stücke als Hommage an Johann Sebastian Bach und verzichtete bewusst auf jene virtuosen Kapriolen, die sich in den Orgel-Kompositionen dieses als Wunderkind gefeierten Ausnahmetalents oftmals wiederfinden. Das bedeutet freilich nicht, dass diese Stücke nicht dennoch eine enorme pianistische Meisterschaft und Reife erfordern. Deshalb war es das erste Glück dieses Abends, dass Nikolai Lugansky ebenfalls auf der Höhe seiner pianistischen Meisterschaft dieses einzigartige Werk interpretierte.
Lugansky verstand es, feine Spannungsbögen innerhalb der einzelnen Abschnitte und Sätze zu bilden, und er verlieh dem Gesamtwerk zugleich einen Gesamtzusammenhang. Der Choral, der das Mittelstück dieses musikalischen Triptychons bildet, gelang Lugansky besonders überzeugend. Das harmonische Geflecht wird im Verlauf der Komposition immer dichter verarbeitet und gipfelt in arpeggierten Akkorden, bei denen fallende Bässe, rhythmisch variiert, dem Cantus Firmus des Chorals entgegengesetzt werden. Nikolai Lugansky türmte diese Arpeggi mit zwingender musikalischer Logik zu einem herrlichen Klanggebäude auf. Ganz so, als lässt man beim Besuch einer gotischen Kathedrale seine Blicke an den Säulen und Streben des Kirchenschiffs entlangschweifen und begreift schließlich staunend das gesamte architektonische Meisterwerk, so staunte auch das Publikum, als der letzte Ton der Fuge verhallt war. Fast hatte man das Gefühl, als hätten einige Zuhörer noch nicht ganz erfasst, was Lugansky hier erschaffen hatte, denn der Beifall war noch etwas zögerlich.
Dies sollte sich spätestens nach der Sonate Nr. 4 in c-Moll op. 29 von Sergej Prokofjew ändern, welche das Publikum mit donnerndem Applaus belohnte. Im Programmheft findet sich folgende Bemerkung Luganskys zu Prokofiews Temperament: „Prokofjew schaute nie zurück oder hielt inne, um zu reflektieren“. Dieser spontane Einfallsreichtum Prokofjews prägte sein kompositorisches Schaffen, so dass viele Werke fast an Filmmusik erinnern, wenn plötzliche rhythmische und motivische Impulse den Kompositionen unerwartete Wendungen geben. Hier setzt auch der einzige Kritikpunkt an der Interpretation Luganskys an: dass sie nämlich fast zu perfekt und ausgefeilt daherkam und kaum Raum für derartige Überraschungen ließ. Perfekt war vor allem Luganskys Anschlagskunst. Dies kam ihm besonders im letzten Satz zugute, dessen Bandbreite klanglicher und anschlagstechnischer Anforderungen seine ganze Könnerschaft offenbarte.