Für ein Symphoniekonzert erwartet man üblicherweise ein Eingangsstück (Ouvertüre), gefolgt von einer Komposition mit Solist, und nach der Pause ein größeres symphonisches Werk. Dass das in diesem Konzert der Nordwestdeutschen Philharmonie genau umgekehrt war, hatte durchaus pragmatische Gründe, wie wir noch sehen werden.
Der Dirigent Yves Abel setzte die Symphonie Nr. 1 in B-Dur, Op.38 („Frühlingssymphonie“) von Robert Schumann an den Anfang des Konzerts. Er ignorierte Schumanns Metronom-Vorgabe und dirigierte die Einleitung betont langsam, breit: vielleicht Maestoso, sicher nicht Andante un poco maestoso. Das Zeitmaß im Allegro molto vivace war im Kontrast zur Einleitung relativ zügig, der Klang kompakt, die Artikulation eher legato denn auf Klarheit und Transparenz bedacht. Leider wurden viele Details etwas übergangen, der Satz wirkte zeitweilig oberflächlich, fast gehetzt. Anderseits war der Mittelteil der Coda (vor der Schlusssteigerung) übertrieben schwärmerisch und breit, was aus der Partitur nicht zu rechtfertigen ist.
Das Larghetto hörte sich relativ schwer, schwelgerisch an, manchmal mit eher pastosem Klang. Das Scherzo wirkte flüssig gespielt, in der Artikulation aber wiederum eher summarisch. Zudem wurde der Agogik wenig Raum gegeben: beispielsweise war kaum je ein kurzes Innehalten vor einem Sforzato zu hören. Der Eindruck von Oberflächlichkeit verstärkte sich noch im relativ raschen ersten Trio. Das zweite Trio trägt keine Tempobezeichnung, ist also gemäß Partitur im Zeitmaß des Scherzo zu spielen; Abel nahm es extrem schnell, wobei für Artikulation und Phrasierung keine Zeit blieb – dafür war dann der Anfang der Coda wieder sehr langsam.
Auch im Schlusssatz konnte mich das Tempokonzept des Dirigenten nicht überzeugen; hier war das Zeitmaß im zweiten Thema mit der deutlich rascheren, eigentümlichen Staccato-Melodie in den Bläsern und den dafür sehr breiten Streicher-Einwürfen bestenfalls willkürlich, übertrieben. Manches gemahnte gar an die Nonchalance gewisser Stücke von Johann Strauß: ich denke nicht, dass Schumann in dieser Komposition Unterhaltungsmusik schreiben wollte. Im Orchester jedoch erlebten wir einen ausgewogenen Klangkörper mit schönem Streicherklang, gekonnt und aufmerksam geführt von der jungen Konzertmeisterin, und mit erfreulich ausgewogenen Anteil an Musikerinnen. Mit Ausnahme der hölzernen Paukenschlägel war das Instrumentarium modern.
Nach der Pause folgte schon rein umfangsmäßig das Herzstück des Programms, das Klavierkonzert Nr. 3 in d-Moll, Op.30 von Sergej Rachmaninow, mit Alexei Volodin (geboren 1977 in St. Petersburg) als Solisten. Dieses Konzert ist angeblich dasjenige mit den meisten Noten pro Zeiteinheit, und Volodin schien beweisen zu wollen, dass er all die Tausende von Noten relativ rasch „abspulen“ kann, ohne dass man ihm die gewaltigen Schwierigkeiten der Partitur ansieht: sein pianistisches Können ist immens, sein Spiel war extrem glatt, aber leider meist stark pedalverschleiert, und deshalb nicht transparent.