Die Pique Dame (wie sich die Pik-Dame auf Französisch eleganter schreibt), ist nicht die Hauptfigur in Tschaikowskys gleichnamiger Oper. Auch nicht Lisa, die Enkelin der eben als „Pique Dame“ titulierten Gräfin, selbst wenn die Luxusbesetzung von Lisa mit Anna Netrebko die Hauptattraktion dieser Wiederaufnahme an der Wiener Staatsoper bildet: Eine schöne, wenn auch nicht besonders dankbare Partie, da das Libretto von Tschaikowskys jüngerem Bruder Modest auf eine Erzählung von Alexander Puschkins einem gewissen Hermann (German) mehr singen lässt. Und dieser ist dem Typ nach Verlierer, hat aber Ambitionen auf besagte Lisa, die Verlobte des Fürsten Jeletzki. Um sich diese (erwiderte) Liebe leisten zu können, bräuchte er allerdings Reichtum durch Glück im Spiel, wozu er wiederum die Gräfin braucht...
Anna Netrebko (Lisa)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Eine ewig spannende Geschichte, gewiss, doch interessiert die Opernfans wohl mehr, wie Netrebko ihre Lisa-Debütserie (mit der gleichzeitig auch die Staatsopernsaison ausklingt) zu Ende gebracht hat. Die simple Antwort: Wie immer auf höchstem Niveau; die Höhen überzeugen ebenso wie die füllige, weiche Tiefe.
Allerdings hätte dieser in Musik gesetzte Fiebertraum, der Pique Dame nun einmal ist, in seinem orchestralen Unterbau noch höhere Termperaturen vertragen, als sie Timur Zangiev als musikalischer Leiter einforderte. Dieses junge Talent hatte alles unter bemerkenswerter Kontrolle, entlockte dem Staatsopernorchester blitzsauberes Spiel und ließ in seiner Behandlung der Leitmotive geradezu an Wagner denken. Dennoch beschlich einen das Gefühl, dass ein Pult-Routinier seinen Superstar wohl zu einer noch größeren Leistung angestachelt hätte, wo ein Junger vorsichtiger bleibt und es allen (oder zumindest der größten amtierenden Diva) recht machen möchte. Das ist allerdings Kritik auf höchstem Niveau, denn der umgekehrte Fall, also Rücksichtslosigkeit gegenüber dem singenden Personal, begegnet einem leider viel häufiger.
Yusif Eyvazov (Herman) und Anna Netrebko (Lisa)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Neben seiner ehemaligen Herz-Königin schlug sich Yusif Eyvazov als Hermann ebenfalls bestens und empfiehlt sich damit für weitere Aufgaben im russischen Fach, für das er die notwendige Durchschlagskraft mitbringt und zu dem seine Stimme besser als zu den Italienern passt. Ganz zu Beginn wird sein Part als „wie ein Dämon, finster und bleich“ vorgestellt, und genau das vermittelt Eyvazov perfekt – die schnapsenden Großväter von früher hätten die Miene dieses Hermann wohl als „Pik-Siebener, der keinen Stich macht“ charakterisiert. Für die Darstellung dieses ins Fiebertraumhafte oder gar Psychotische abgleitende Figur wäre manchmal mehr möglich gewesen, andererseits lief er auch nicht Gefahr, in der Übertreibung unglaubwürdig zu wirken. Sehr gelungen war die finale Szene, in der Hermann im Kartenspiel-Showdown mit Jeletzki nicht das Gewinner-Ass, sondern die Pik-Dame in die Höhe hält.
Elena Zaremba (Gräfin)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Die Inszenierung von Vera Nemirova aus 2007 ist für das Werk zwar kein Hindernis, aber auch kein großer Wurf. Wo die St. Petersburger Uraufführung Ende 1890 eine Ausstattungsorgie auf die Bühne brachte, ist das Wiener Bühnenbild überwiegend von Verfall und Armut nach dem Mauerfall geprägt, auch wenn man darin in teils aufwändigen Kostüme wandelt. Die nüchterne Optik ist angesichts der gesellschaftlichen Einschränkungen, die ein Mittelloser wie Hermann damals wie heute erlebt, eine relevante, nachvollziehbare Sichtweise. Andererseits enthält das Werk viele Nummern, die teilweise an Mozart erinnern und ein nobles, höfisches Setting zeichnen, wodurch die Atmosphäre insbesondere zu Beginn so (un)passend wirkt wie Versailles für Carmen. Für das Schäferspiel im zweiten Akt (ebenso eine Form adliger Unterhaltung wie die Romanze mit Klavierbegleitung im ersten) hat man mit einer Art Modeschau mit queerem Einschlag jedoch eine originelle und passende Lösung gefunden.
Boris Pinkhasovich (Jeletzki)
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Von den Damen rund um Lisa gefällt insbesondere Maria Nazarova (Mascha/Chloé), während Elena Maximovas Polina/Daphnis eher herb timbriert ist und trotz guter Leistung im Duett mit Netrebko nicht wirklich harmoniert. Als Gräfin („Pique Dame“) war mit Elena Zaremba eine wahre Grande Dame aufgeboten, die zuletzt als Mamma Lucia in Cavalleria rusticana berührte, sich hier von Hermann zu Tode erschrecken lassen muss und ihn anschließend als Geist heimsucht – auch das eine überzeugende, absolut noble Vorstellung.
Von Hermanns Bekannten (Alexey Markov als Tomski/Pluto, Andrea Giovannini als Tschekalinski, Ivo Stanchev als Surin) ist ebenso nur Erfreuliches zu berichten. Insbesondere Tomskis Arien trugen wesentlich zur Unterhaltung und zum Gelingen des Abends bei: Waren die „Drei Karten“ im ersten Akt ein dramatisches Erlebnis, so gerieten die „Vöglein auf dem Ast“ im dritten zum Bekenntnis eines Playboys. Boris Pinkhasovich war als Jeletzki buchstäblich fürstlich und seine Liebesbekenntnissen an Lisa herzerwärmend. Auch die Nebenrollen punkteten mit prominenten Besetzungen zwischen Stephanie Maitland als Gouvernante und Dan Paul Dumitrescu als Narumow.
Alexey Markov (Tomski)
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Der Chor, anfangs eher unfokussiert, steigerte sich beträchtlich und sorgte beim Schlussgesang in Form eines Hymnus für den erwarteten Gänsehautmoment. Die logistischen Herausforderungen dieses großen Werks (Bühnenorchester, Chor, Kinderchor, Soloklavier auf der Bühne. Ballett und Komparsen) wurden bestens bewältigt, und auch das Staatsopernorchester ist für die tadellose Leistung unter der Leitung des bereits erwähnten Timur Zangiev zu loben. Fürs nächste Mal darf’s aber mehr Fieber sein.
****1
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