Seit der letzten Saison hat Wien einen neuen Lohengrin: Weg mit dem Lodengrün der Vorgängerinszenierung, her mit Betongrau! Weg mit dem traditionellen Glanz des Gralsritters, her mit Alu-Knieschützern und zerrissener Hose! Weg mit toxischer Männlichkeit, die Frauen das Fragen verbietet, her mit weiblicher Emanzipation, die Elsa als Brudermörderin positioniert?
Das kann man machen, denn aus den Handlungsfäden in Richard Wagners Stoffen lässt sich viel spinnen, zumal es beim Verschwinden von Elsas Bruder Gottfried tatsächlich mit merkwürdigen Dingen zugegangen ist. Warum Lohengrin dennoch von Elsas Reinheit überzeugt ist, weiß er laut Libretto zunächst nur dank Blick in ihre Augen, und auch das kann man sich erklären: Beim Universum bestellte Retter kommen nicht mit Zweifeln und dürfen andererseits auch nicht angezweifelt werden. Die Gralserzählung (und hier insbesondere der weggelassene Teil) widerspricht zwar diesem Konzept, aber bei deren Klängen ist das Publikum meist entrückt und hinterfragt nichts mehr. Fan-Fiction sieht trotzdem anders aus als das, was Jossi Wieler und Sergio Morabito auf die Bühne stellen, denn mit Liebe zum Werk hat diese Inszenierung wenig zu tun – das Zitat aus Thomas Manns Doktor Faustus, wo Interesse als stärkerer Affekt als Liebe gilt, hat es wohl nicht zufällig ins Programmheft gefunden.
In ihrer Inszenierung, die Elsa in den Mittelpunkt stellt und den Spaß an der Dekonstruktion zelebriert, ist Klaus Florian Vogt als Lohengrin eine Klasse für sich: Seine helle, reine Tenorstimme zeigt keinerlei Schwächen und schneidet wortdeutlich durch die Orchesterfluten, und der Demontage der Lohengrin-Figur durch das Regieteam setzt er die überzeugendste Antwort entgegen. Er konzentriert sich aufs Singen und verlässt sich auf die Wirkung seines Instruments und seiner Bühnenpräsenz.
Elsa wurde von Camilla Nylund, gegeben, die gerade eine Arabella-Serie hinter sich hat, und zumindest im ersten Akt etwas stimm-müde wirkte. Sie konnte sich jedoch ab dem zweiten Akt beträchtlich steigern, und die Szene mit Ortrud „Es gibt ein Glück, das ohne Reu'“ war einer der musikalischen Höhepunkte des Abends. Das „furchtbare Weib“ Ortrud liegt Anja Kampe bestens, und sie besitzt auch die notwendige Furchtlosigkeit vor den Attacken in der Höhe, die immer überzeugend gerieten.
Als ihr vogelfreier Gatte Telramund, der sie am liebsten „erschlüg“, bevor er sich doch wieder von ihr becircen lässt, gefiel Jordan Shanahan mit einer kompetenten Leistung in jeder Hinsicht, auch wenn er in dieser Inszenierung wenig Noblesse, sondern eher die Ausstrahlung eines Guerillakriegers zugebilligt bekommt. Das Gottesurteil ereilt ihn in Form eines Hexenschusses, womit Lohengrin kampflos gewinnt – bei aller Kritik an der Inszenierung eine gelungene Szene, deren Pointe auch hinsichtlich der Personenregie gut vorbereitet ist, wie die Personenregie generell umtriebig wirkt.
Das ist in der szenischen Hässlichkeit auch notwendig: Man denke sich das Ufer des Wiener Donaukanals ohne Aussicht auf Stadt und Wasser, dafür mit „King“-Graffiti, nur dass wir in Brabant an der Schelde verortet sind, und an der Uferverbauung mobile Absperrungen aufgestellt sind. Diese sind von den Protagonisten mitunter zu überklettern, was Vogt am elegantesten gelingt (alle anderen liefern mehr oder weniger ungelenk ihren Beitrag zur Umwandlung des Stücks in Richtung Thriller mit realsatirischem Einschlag).
König Heinrich, im Uniformmantel vage auf Führer getrimmt, muss am Anfang des dritten Akts den Chor dirigieren, was bei manchen für Erheiterung sorgt. Weniger froh stimmt der Zustand von Günther Groissböcks belegt klingender Stimme, allerdings macht er immer noch respektable Figur als Darsteller. Eher unscheinbar bleibt Attila Mokus als sein Heerrufer, dem es an der für diese Rolle notwenigen vokalen Autorität fehlt, die bei Groissböck immerhin noch durchblitzt. Der Chor, welcher in dieser Inszenierung einiges an Choreographie zu absolvieren hat, trat anfangs überraschend wenig geschlossen auf, was sich aber bald besserte. Beeindruckend waren jedenfalls die tadellosen Fanfaren der Bühnenmusik.