Die Oper Zoroastre („Zarathustra“) von Jean-Philippe Rameau wurde 1749 in Paris uraufgeführt und war nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Allzu lange kaute Rameau für den Geschmack des damaligen Publikums auf der Gegenüberstellung von Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Tag und Nacht herum. Wäre die Neuproduktion der Komischen Oper Berlin die Uraufführung gewesen, hätte es Rameaus Bühnenmusik wohl auch nicht leichter gehabt. Freilich aus dem gegenteiligen Grund: Der gutgemeinte Ansatz, die Kontraste und Konflikte der Protagonisten untereinander und mit sich selbst in differenzierte Psychogramme und Beziehungsgeschichten zu entwickeln, funktionierte nämlich allenfalls teilweise. Das Potential, welches in der Oper Rameaus angelegt ist, wurde größtenteils verschenkt. Wahrscheinlich weil man zu viel wollte. Über weite Strecken war die Aufführung spannungslos und die originellen Regieideen (Inszenierung Tobias Kratzer) wie die Videoeinspielungen auf dem Bühnenvorhang, die das Volk der Baktrien als den Despoten ausgelieferte Ameisen zeigten, verkamen zu Versatzstücken. Witzig waren sie schon, die kopulierenden Insekten, aber um eine 2:45 lange Oper mit Spannung zu erfüllen, reicht das nicht.
Tobias Kratzers Idee, den allzu perfekten und überhöhten Zoroastre zu einem fragwürdigen machtbesessenen Egoisten zu entwickeln, hätte funktionieren können, wenn einem dieser aalglatte Mainstream-Mitläufer, der sein Bücherregal nur aus ostentativen Zwecken in die Designerwohnung gestellt hat, nicht von Anfang an suspekt und unsympathisch gewesen wäre. Da gab es nicht mehr viel zu entwickeln. Zoroastres Gegenspieler Abramane, der vom besten Sänger des Abends, Thomas Dolié, verkörpert wurde, sollte sich ebenfalls vom grobschlächtigen Proleten zu einem Menschen profilieren, der wie wir alle widerstreitende Gefühle in sich trägt und zwischen blutrünstiger Rache und tiefempfundener Liebe hin- und hergerissen ist. So zumindest ist das Libretto angelegt und auf dieser Basis gelang es auch Thomas Dolié, den emotionalen Höhepunkt des Abends wunderbar feinfühlig zu gestalten.
Dieser bestand nicht etwa in den dröhnenden von Gewehrschüssen verstärkten Rache- und Hassausbrüchen zwischen den verfeindeten Wüstlingen. Hier wurde das Pulver viel zu früh verschossen. Nein, der gelungenste Moment dieser Aufführung war der leiseste, als nämlich Abramane im vierten und stärksten Akt der Oper von Rache geschüttelt innehält und sich an die Hochzeit zwischen Zoroastre und Amélite und die Schönheit der unerreichbaren Braut erinnert. Thomas Dolié schaffte es, diesen Liebesseufzer so darzustellen, dass er nicht aufgesetzt wirkte und einem trotzdem die existenzielle Tragik Abrames entgegenschleuderte, so dass man selbst hin- und hergerissen war zwischen düsterer Häme und reinem Mitleid.