Naturgewaltig und hinterfragend: Auch in diesem Spätsommer startet die Berliner Klassikszene wieder mit dem schon zur Tradition gewordenen Musikfest in die neue Saison; als eines der ersten Orchester ist die Oslo Philharmonic zu Gast. Mit seinem Chefdirigenten Klaus Mäkelä präsentiert sich das Orchester klangweltenmalend. Gleich zwei Werke aus seiner finnischen Heimat hat der Dirigent dabei auf das Programm gesetzt: Neben Einojuhani Rautavaaras Cantus Arcticus ist auch Kaija Saariahos Vista zu hören, den Abschluss und Höhepunkt des Abends bildet Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 5.
Wie ein sanfter Wind, der durch die Blätter raschelt, durchdringt der Ton zweier Flöten die philharmonischen Weinberge, flatternde Klänge aus den Bläsern, ehe die Kontrabässe weite Landschaftsbilder malen, so beginnt Rautavaaras Konzert für Vögel und Orchester. Bedächtig aber feinsinnig, mit über weite Strecken geschlossenen Augen skizziert Mäkelä ein Bild der finnischen Landschaft. Unwillkürlich träumt man sich hinein in die weite Natur des Landes der tausend Seen. Auch dank der Vogelklänge vom Tonband, die mal über dem Orchester schweben, dann fast verdeckt werden. Eisige Winde, Ungemach, wärmende Klänge die sich wie die Sonne an einem kalten Herbsttag durch eine dicke Wolkenschicht brechen, wie auf der Wasseroberfläche glitzernde Harfenklänge, darüber stets der Zug der Wildvögel. Der Cantus Arcticus ist ein wahres Freudenspiel an Assoziationen.
Weit weniger assoziativ, dafür meditativ aber ebenso atmosphärisch geht es anschließend in Vista aus der Feder der im vergangenen Jahr verstorbenen Kaija Saariaho weiter. Das Sichtbarmachen und das Unsichtbarmachen von Blickwinkeln steht hier im Mittelpunkt, wenig ist klar, vieles scheint unter der Oberfläche zu schwelen. Strebend und voranschreitend gestaltet Mäkelä das Werk mit mal feiner, mal fordernder Zeichensprache. Wechselnde Farben, Formen und Texturen zeichnen eine vielschichtige musikalische Landschaft.
Nach der Pause erklingt schließlich die Fünfte Symphonie von Schostakowitsch. Sie steht bei Mäkelä in einer Linie mit den vorherigen Werken. Immer wieder arbeitet der Dirigent im Verlauf des ersten Satzes die Klangschönheiten heraus, ehe die ersten Bedrohlichkeiten hörbar werden. Gleichzeitig versteckt sich auch hier das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren, hinter jeder Phrase eine Frage so scheint es. Energisch suchen der Dirigent und das Orchester ihr Heil im Voranschreiten. Fast scheint Mäkelä ein ums andere Mal vom Podium ins Orchester zu stürzen, das seinem Dirigenten auf Schritt und Tritt folgt.
Insbesondere im Verlauf des zweiten Satzes, dem Allegretto, fordert und fördert Mäkelä immer wieder das Wechselspiel der verschiedenen Instrumentengruppen. Kraftvoll und dennoch nuanciert ist seine Interpretation der in Zeiten stärkster stalinistischer Repression entstandenen Symphonie. Die Luft ist zum Bersten gespannt. Die Bedrohung scheinbar greifbar. Im folgenden Largo wirkt es als schlüge die ungeschönte Trockenheit und Intensität ein ums andere Mal in eine unbestimmte Vehemenz um, ehe am Ende doch ganz organisch das abschließende Allegro non troppo erwächst.
Der finale Satz wird schließlich zu einem wahren Parforceritt, in dem Mäkelä immer wieder zwischen aufatmender Sinnlichkeit und effektvollen Höhepunkten fein abzustimmen weiß. Und doch erklingt hier kein mit Triumphalismus betrunkener Triumph, denn unter allem und über allem scheint auch hier die Frage zu schweben: Ist wirklich alles so wie es scheint? Bei Schostakowitsch ist das selten so, Mäkelä und die Oslo Philharmonic haben das erkannt. Das Unsichtbare klingt immer mit.
Sobre nuestra calificación