Ein Klavier-Rezital in der Provinz ist ein riskantes Unterfangen, und es ist den Veranstaltern zu danken, dass sie es gewagt haben, an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden unter dem Titel „Piano Legends“ gleich vier Klavierabende aufs Programm zu setzen.
Die Konzerte in Baden finden in den Räumen der ehemaligen Druckerei statt, der Ort, an dem früher die große Rotationsdruckmaschine für die lokale Zeitung stand. An sich ist es eine nüchterne Umgebung, aber durch die Lichtregie stellte sich sehr rasch das Gefühl einer intimen Gemeinschaft zwischen Künstler und Publikum ein.
Der Auftritt von Stephen Kovacevich war äußerlich bescheiden, fast unauffällig, dazu passte, dass er sich in seiner extrem niedrigen Sitzposition fast hinter dem Klavier zu verkriechen schien, das Kinn auf Höhe der Oberkante des Flügels, ganz versunken in einen engen, selbstvergessenen Dialog mit dem Instrument, in die Musik hineinhorchend. Er schien auch beständig dem Klavier zuzuflüstern, summte und brummte über weite Strecken mit. Bedingt durch die niedrige Position ist auch seine Spieltechnik eine ganz eigene: wo nach klassischer Technik übergreifen verlangt wird, greift er mit seiner Rechten unter dem linken Arm durch, doch wen kümmert’s, solange das Resultat stimmt? Sicher, Perfektion war an diesem Abend (und bei Meistern dieses Alters) weder erwartet noch verlangt, da fehlten öfter mal einzelne oder gleich mehrere Noten. Der Pianist zog es vor, derartige Risiken einzugehen, als durch überartikuliertes Spiel die Musik vordergründig erscheinen zu lassen.
Das Programm eröffnete mit Alban Bergs Klaviersonate in d-Moll, Op.1, einem einsätzigen Werk, das sich äußerlich an die Sonatenform anlehnt, mit oftmals sich auftürmenden Dissonanzen, aber dennoch über weite Strecken (trotz Fehlen der klassischen Kadenz) tonal. Kovacevich folgte der komponierten Dynamik, artikulierte aber eher weich, extreme Härten vermeidend: es war nie ein virtuoses, poliertes Schaustück. Dennoch erzeugte der Pianist auf dem Steinway B durchaus eindrückliche drei- und vierfache Fortissimo-Passagen, blieb aber expressiv, verinnerlicht, oftmals gar intim: ganz und unverkennbar Alban Berg.
In Abänderung des ursprünglich angekündigten Programms folgten danach die Bagatellen 1 und 6 aus Beethovens Op.126, gefolgt von der Klaviersonate in As-Dur, Op.110 des gleichen Komponisten. Die erste gespielte Bagatelle gestaltete Kovacevich bewusst nachdenklich, mit Beschleunigungen auf Schwerpunkte einer Phrase hin, aber oftmals auf Höhepunkten kurz innehaltend, flüssig, weich, mit schönem Legato. In der zweiten Bagatelle (Nr.6) fiel mir der singende, erzählende Ton auf, allerdings wirkten die Presto-Rahmentakte eher überstürzt.
Die Klaviersonate begann mit natürlichem Ausdruck, nicht „gemacht“, allerdings mit einer gewissen Tendenz zu Überpedalisierung; gewiss nicht perfekt, aber immer singend. In den äußeren Teilen des zweiten Satzes waren die Achtelmotive etwas gar gedrängt, gehetzt, nicht klar artikuliert, dafür waren die rezitativischen Passagen im langsamen Satz sprechend, das nachfolgende Arioso dolente singend und ausdrucksvoll. Die abschließende Fuge wurde wiederum weich artikuliert, frei im Tempo, wobei die Rubati immer natürlich, nicht aufgesetzt klangen. Die Fugenteile, speziell aber der „Ermattet, klagend“ überschriebene Mittelteil war für meinen Geschmack deutlich zu stark pedalisiert. Die letzte Steigerung fand ich eindrücklich und intensiv – auch für den Interpreten, dessen Mitsummen anzeigte, wie sehr ihn diese Musik selbst mitriss in den Jubel des Schlusses.