Es ist nicht eben viel, was der griechische Geschichtsschreiber Herodot über den persischen König Xerxes berichtet. Bei seinem Feldzug gegen die Athener habe er eine Brücke aus miteinander vertäuten Booten über die Meerenge des Hellespont bauen lassen. Als ein Sturm diese fragile Kette zerstörte, mussten 300 Männer das Meer bestrafen und auspeitschen. Bei seinem Vorrücken soll ihm eine Platane so gefallen haben, dass er sie mit Gold schmücken und bewachen ließ. Solche Bruchstücke regten 1738 Georg Friedrich Händels ironische Fantasie an, eine seiner letzten Opern mit einer Ode an diese Platane, eine seiner schönsten Arien überhaupt, zu beginnen: „Ombra mai fu”.
Vernarrt in einen Baum: das muss ein spezieller Typ sein. Und explosiv ist zudem die gefühlserregte Gemengelage in seiner Familie. Zwei Brüder, zwei Schwestern, aber nur eine gegenseitige Liebe: die von Romilda und Arsamene, dessen Bruder Xerxes (wie im italienischen Libretto weiter Serse genannt) sich amouröse Freiheiten herausnimmt und mit seinem Werben bedrohlich in das Verhältnis einmischt. Für Arsamene schwärmt aber auch Atalanta, Schwester von Romilda; ihr etwas beschränkter Vater Ariodate hat nur im Sinn, die Töchter mit Gewinn an den Mann zu bringen. Und da wären noch Serses leidgeprüfte, aber kämpferische Verlobte Amastre sowie der findige Bursche Elviro, dem der klassische Dienerfehler unterläuft, einen Liebesbrief falsch zuzustellen. Beide lässt Händel die im Barock so beliebten Verkleidungsszenen amüsant durchspielen.
Nach dem Jubiläumsjahr „100 Jahre Händel-Festspiele in Halle“ gibt es in diesem Jahr allein sechs Opernproduktionen zu entdecken. Den Auftakt machte eine Neuinszenierung dieses Serse, in dessen Titelrolle die Besucher die italienische Sopranistin Anna Bonitatibus als Stargast umjubelten, die gleich zu Anfang mit Emphase aus ihrer wundervollen Palette leuchtender Stimmfarben Händels „Ombra mai fu” veredelte.
Louisa Proske, stellvertretende Intendantin seit 2021, hat bei der neuen Produktion Regie geführt und Serse als selbstgefälligen „Paten“ eines heutigen Familienclans mit schmierigen Geschäften auf die Bühne gebracht, der nicht nur den privaten Umgang befehligt, sondern auch eine Ölförderfirma Xergas managt, sich einer Luftlinie bedient und Sympathiepunkte durch das Sponsoring eines Fußballclubs gewinnen will. Die ziemlich aus dem Ruder laufenden Beziehungskisten innerhalb der Geschwisterpaare können aber nicht einfach mit harter Hand diktiert werden, selbst wenn die Kiste ein zwanzig Meter langer Privatjet ist, dessen luxuriöse Ledermöblierung den Königsthron ersetzt. Auf der Hallenser Bühne (gelungene Ausstattung und Kostüme von Jon Bausor) prunkt dieses weiß-silbrig glänzende Prachtstück, erlaubt mit offener Seitenfront vielfältige Einblicke ins Herrscherzimmer, ermöglicht im Kreisen auf der Drehbühne allerlei Slapstick, sei es von Partien im kessen roten Stewardess-Kostüm, in dem Atalante und Romilda ihre Schwesternrivalität austragen, oder im Blaumann-Overall, wenn Chor und Statisterie aus grellgelben Raffinerierohren den Flieger betanken. Diese Demontage eines Machtmenschen macht Proske glaubhaft; und parodistisch steigert sie dann das Antikenspiel in blendend inszeniertes Gegenwarts-Bühnentheater, wenn im Trubel gar noch Aktivisten wie einer Letzten Generation in ernster Sorge um die globale Zukunft ihre Pappschilder „Xerxes Lügner“ oder „Kein Planet B“ hochhalten und sich vor Serse am Boden festkleben; da wird indes der Schleier zum Klamauk schon sehr dünn. Warum nach aller Farbenflut dann Szenen vor heruntergelassener tristgrauer Brandschutzwand mit klappernder Metalltür gesungen werden mussten, blieb leider unerfindlich.