Kaum ein englischer Komponist des vergangenen Jahrhunderts war so sehr Humanist und Pazifist im emphatischen Sinn wie der 1998 in London verstorbene Sir Michael Tippett. Er reiste in den Jahren 1926 und 1929 ausgiebig durch Deutschland, so dass nicht unerwartet die plötzliche Verschlechterung der moralischen Politik nach Hitlers Wahlsieg von 1933 ihre Wirkung auf ihn ausübte. Unmittelbarer Kompositionsanlass für sein Oratorium A Child of Our Time war 1939 die Nachricht von einem jungen polnischen Juden, der in Paris aus Verzweiflung über die Verfolgung seiner Familie einen NS-Diplomaten erschoss, was die Nazis wiederum mit einem wohl längst beschlossenen Judenpogrom beantworteten. Später erinnerte Tippett sich, wie er sich emotional gezwungen fühlte, Lieder zu singen für das jüdische Volk, das jetzt zu Flüchtlingen und Ausgestoßenen gemacht werde. Er wurde hier dabei sein eigener Textautor. 1943 ging der Kriegsdienstverweigerer für seine Prinzipientreue sogar ins Gefängnis.
Nach Tippetts Tod wurde es schnell ziemlich still um seine Musik. Sein Oratorium wurde selten, fast nur noch in England aufgeführt. Durchaus folgerichtig war es, dass die Dramaturgen der 74. Musikfests ION in Nürnberg für ihr diesjähriges Festival unter der gerade derzeit quälenden Frage „Wo ist Frieden?“ dieses Oratorium an das Ende einer reichen Programmwoche setzten. Als Glücksfall erwies sich, dass mit dem Münchner Rundfunkorchester, das lange Erfahrung mit Musik der Gegenwart hat und das Werk bereits zwei Tage zuvor zur eigenen Konzertreihe „Paradisi Gloria“ in der modernen Münchner Herz-Jesu-Kirche aufgeführt hatte, und mit dem erst 30-jährigen Dirigenten und Komponisten Patrick Hahn eine exzellente Darstellung dieses Werks in Nürnbergs ältester Stadtpfarrkirche St. Sebald gelang. Ausdruckskraft und Noblesse strahlte das Spiel des Orchesters aus, aber auch schneidende Synkopen sorgten für muskulöse Präzision. Für die vielfältigen Choraufgaben darin war der versierte Chor des Bayerischen Rundfunks angereist, der von Florian Helgath, selbst Leiter prominenter Konzertchöre, präzise einstudiert worden war.
Hahn zeigte sich bestens vertraut mit Tippetts traditionsverbundener, gleichwohl zeitgenössisch ekstatischer Tonsprache, fand die richtige Balance zwischen kontemplativen und dramatischen Abschnitten des Werks, das formal Nähe zu Händels Messiah und Bachs Passionen aufweist, dazu moderne Elemente integriert. Gerade die fünf stilisierten Negro-Spirituals, in denen Tippett mit den deklassierten Schwarzen allen geschundenen Kreaturen des so gewaltexzessiven Jahrhunderts eine Sprache verleiht, konnten ihre Wirkung entfalten.