Lionel Bringuier hat vor bald zwei Jahren mit der Position des Dirigenten des Tonhalle-Orchesters ein eigentlich unmögliches Erbe angetreten. Unter seinem Vorgänger David Zinman wuchs das Orchester über fast 20 Jahre zu einem Klangkörper von technischem Weltklasseformat mit entsprechendem internationalem Renommee. Zinman hat das Orchester nicht nur auf Tourneen präsentiert, er hat sein Wirken auch auf CD verfügbar gemacht, hat die großen Orchesterwerke von Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Mahler, und Richard Strauß in maßstabsetzenden, erfolgreichen Aufnahmen auf den Markt gebracht. Es muss Bringuier (dem Wunschkandidaten des Orchesters) bewusst gewesen sein, dass ihm zumindest im Bereich der Vermarktung das Repertoire auf absehbare Zeit stark eingeschränkt sein würde.
Seit seinem Einstieg hat Bringuier symphonisch einen Schwerpunkt auf Maurice Ravel gelegt und war damit nicht nur in Konzerten in Zürich und auf Tournee erfolgreich, sondern auch mit der entsprechenden CD-Aufnahme. Nun aber schien der Zeitpunkt gegeben, es auch mit einem stark von Zinman geprägten Werk aufzunehmen. Zuvor jedoch bot das Violinkonzert von Antonín Dvořák im ersten Teil des Programms die letzte Gelegenheit, die Georgierin Lisa Batiashvili in ihrer Funktion als Artist in Residence in Zürich zu hören. Das Werk ist klar von Brahms inspiriert, technisch recht anspruchsvoll, vor allem in der Intonation, und es fordert von der Solistin, schon nach wenigen Takten „voll da“ zu sein.
Lisa Batiashvili spielte mit fließender Artikulation und Phrasierung, mit seidenem Ton und Tendenz zu legato, sicher in der Tongebung, oft impulsiv, gelegentlich angriffig im Tempo. Akzente waren oftmals eher verbreitert als betont, hätten manchmal auch stärker herausgestellt sein können; Sforzati und marcato-Noten gerieten allerdings durchaus deutlich und lebendig. Die Zusammenarbeit mit dem Orchester war in diesem Satz nicht immer perfekt, als wenn Dirigent und Orchester gelegentlich etwas verzögert auf Rubati im Solopart reagierten. Beim Zurücknehmen des Tempos empfand zudem ich eine gewisse Tendenz, den Schwung zu verlieren.
Im Mittelsatz war die Zusammenarbeit zwischen Solistin und Orchester deutlich besser. Hier nimmt Dvořáks blühende Melodik für sich ein, dazwischen finden sich energische, aufbegehrende Partien; die Violine scheint heitersten Vogelgesang zu imitieren, gefolgt von idyllischer Volksmelodik, dann wechselt die Szenerie zu einem slawischen Tanz: Dvořáks Fantasie scheint unerschöpflich. Im Schlusssatz schien mir das Zeitmaß oftmals zu drängend, ließ wenig Zeit für rhythmische Details, erlaubte kaum, Dvořáks reiche rhythmische Kontrapunktik auszuleben; gegen Ende fand ich die Interpretation eher summarisch, doch das Orchester überzeugte mit seiner Agilität und Taktsicherheit. Als Dank wurde als Zugabe ein Ausschnitt aus dem zweiten Satz von Dvořáks Neunter Symphonie („Aus der Neuen Welt“) gegeben, in einer Fassung für Violine und Streichorchester – ein stimmiger, emotionaler Abschluss für die erste Konzerthälfte.