An den Opern von Richard Strauss, von denen er inzwischen einige inszeniert habe, fasziniere ihn vor allem der Aspekt der „dysfunktionalen“ Familie, erklärt Christof Loy in einem Filminterview der Finnischen Nationaloper. Da mag er an Elektra mit dem Gattenmord denken, an Arabella, aber auch das Happy End für Sophie und Octavian im Rosenkavalier wirkt ja wie ein Traum.
In Helsinki hat Loy jetzt die wohl „dysfunktionalste“ aller Familien bei Strauss auf die Bühne gebracht. Salome ist eine Oper der fehlgeleiteten Begehrlichkeiten: Salome ist fasziniert vom Propheten Jochanaan, den jedoch nur sein Hass auf den verderbten Hof von Salomes Mutter Herodias und seine Prophezeiung eines Erlösers interessieren. Salomes Stiefvater Herodes ist mehr angezogen von seiner Stieftochter als von seiner Ehefrau, und Narraboth, ein junger Hauptmann am Hof, vergöttert die Prinzessin wie ein Nachtgestirn am Himmel. Das hat zur Folge, dass in so manchen Inszenierungen die Hauptfiguren zum Klischee neigen: dem eifernden Propheten, dem geifernden Stiefvater, dem pubertären Hauptmann, der grausamen Salome.
Christof Loy hat die Figuren ernst genommen, das Libretto und vor allem die Musik genau durchleuchtet und vielschichtige Charaktere auf die Bühne gebracht. So wiederholt Jochanaan zu Beginn der Oper zwar immer wieder seine Prophezeiung vom kommenden Erlöser, doch diese Wiederholungen werden im Lauf der Oper immer weniger und beschränken sich meist auf leitmotivische Anklänge im Orchester, die Strauss ganz im Gefolge Wagners in dieser Oper meisterhaft einsetzt und die Dirigent Hannu Lintu subtil zu Gehör bringt. Und so wandelt sich auch die Figur des Jochanaan bei Loy; vom selbstgewissen prophetischen Eiferer zum Menschen, der von der Hofgesellschaft – in diesem Fall Partygäste eines reichen Industriellen – angegriffen und schließlich vereinnahmt wird: Tritt er zu Beginn nackt auf, als bloßer Mensch, wird er am Ende im vornehmen Gesellschaftsanzug ununterscheidbar sein von dem Rest der Gesellschaft.
Die Sänger folgen Loy dabei. Mihails Čulpajevs macht mit seinem lyrischen, sehr flexiblen Tenor aus Narraboth einen schwärmerischen Jüngling, Nikolai Schukoff gestaltet den Herodes stimmlich mit der nötigen herrischen Schärfe, ist aber stets ein ernst zu nehmender Charakter, auch wenn er sein Mäntelchen gern nach dem Wind hängt, Andrew Foster-Williams artikuliert die zu Beginn fast manisch wiederholten Prophezeiungen mit markantem Bariton, aber nie stentorhaft hart, stets menschlich, und wird zunehmend lyrischer im Stimmduktus. Nahezu unübertrefflich in der Titelrolle ist Vida Miknevičiūtė. Sie kann unmenschlich hart, überheblich, am Ende übersteigert metallisch in ihrem Liebeswahn klingen, aber auch lyrisch zart. Allein wie sie am Ende den Namen Jochanaan Silbe für Silbe aus höchster Höhe nach unten artikuliert, lässt einem den Atem stocken.