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Du darfst alles außer arm sein: Weills Mahagonny überzeugt in Augsburg

Por , 06 marzo 2025

Fast genau 100 Jahre ist es her, dass Kurt Weill und Bertolt Brecht in Baden-Baden eine Kurzoper Mahagonny-Songspiel zu einem Stoff herausbrachten, der am Beispiel einer fiktiven amerikanischen Kleinstadt die Verkommenheit einer Gesellschaft erzählt, in der nur Geldscheine grenzenlos Freiheit und Konsum versprechen. In den Metropolen feiern in diesen 20er Jahren Jazz-Klänge und Cabaretsongs rauschende Erfolge; selbst in klassischen Opern halten populäre Lieder ihren Einzug. 1930 findet dann die Uraufführung von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny des in einer jüdischen Kantorenfamilie aufgewachsenen Kurt Weill statt; sie war bereits von lautstarken Störmanövern überschattet, hinter denen Drahtzieher der erstarkenden NSDAP standen, empört über politische Botschaft und Ästhetik der Oper.

Mirko Roschkowski (Jimmy) und Sally du Randt (Jenny)
© Jan-Pieter Fuhr

In der Behelfsspielstätte des Augsburger Staatstheaters im martini-Park wird seit kurzem die Oper in einer Neuinszenierung von Jochen Biganzoli gespielt. Und um aus einem Behelf gleich eine Tugend zu machen, verlegt er große Abschnitte des Werks zwischen die Parkettreihen des Zuschauerraums, „möglichst nahe an die Zuschauer herangespielt“ und mit dem „Orchester in Höhe des Parketts“, wie es Weill bereits 1930 forderte (gute Raumnutzung: Wolf Gutjahr). Konsequenterweise wird auch der Gesang mit Headmikes aufgenommen und verstärkt.

Avtandil Kaspeli (Joe), Haozhou Hu (Fatty) und Wiard Witholt (Billy)
© Jan-Pieter Fuhr

In Mahagonny ist alles erlaubt. Hier, mitten in der Wüste, sind drei Gauner in defekter Limousine gestrandet, haben die Witwe Begbick, Fatty und Dreieinigkeitsmoses mit dem „Hotel der reichen Männer“ ein künstliches Paradies gegründet, um Glücksuchern wie Jakob, Joe, Bill und Jim, zuvor Baumfäller in Alaska, für Fressen, Saufen, Sex und Boxwetten das Geld aus der Tasche zu ziehen: „Du darfst alles, sofern du nur bezahlst!” Da werden Selfies geschossen, Drinks ausgegeben. Fast unglaublich, dass sich da noch eine Liebesgeschichte zwischen Jim und der Bardame Jenny entwickeln kann, in der beide den Trubel ausblenden und Zukunftspläne schmieden.

Kate Allen (Leokadia Begbick)
© Jan-Pieter Fuhr

Biganzolis Inszenierung spielt mit Kameraeinsatz vor dem Publikum und Videoscreen hinter dem Orchester auf eine Welt der Hollywood-Blockbuster an; die Sänger werden live gefilmt, ihre Sequenzen erscheinen mit Livebildern aus dem Publikum in den projizierten Filmen (Jana Schatz); Trugbilder eigentlich, wie auch die ganze Stadt Mahagonny. Da ist natürlich amüsant, wenn die initiale Autofahrt an blauen Schildern der Autobahn nahe Augsburg vorbeiführt, dessen Ortsschild mit „Mahagonny“ übermalt wird oder bei Herannahen des Hurrikans, der Mahagonny von der Landkarte fegen könnte, Wetterkarten des schwäbischen Umlands von Augsburg eingeblendet werden. Am Ende trifft der Sturm, bei schadenfrohem Aufatmen des Publikums, dann München, und das pralle Lasterleben geht bildstark weiter, nun im vergrößerten Bühnenraum hinter dem Orchester. Als Jimmys Geldbeutel leer ist, will keiner seiner früheren „Freunde“ ihm aushelfen, selbst Jenny nicht. Zechprellerei ist folglich ein Kapital-Verbrechen, von dem Jim sich nicht eben mal mit Geld freikaufen kann und das mit dem Tod geahndet werden muss. Ein überführter Mörder hingegen kommt mit einer Strafe von 100 Dollar frei.

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
© Jan-Pieter Fuhr

Die in Brechts Libretto zu Mahagonny geübte scharfe Kritik an der auf Verbrechen und Ausschweifung beruhenden kapitalistischen Welt wird auch in Biganzolis Inszenierung deutlich und provokant herausgestellt, ohne den oft hintergründigen Spaß mancher Cabaretszenen zu kurz kommen zu lassen. Aber auch deutliche Parallelen zur christlichen Passionsgeschichte sieht der Regisseur, wenn Jim gefangen genommen und von seinen Freunden verleugnet wird oder Hinrichtung und letzte Bitte um ein Glas Wasser zu todernsten Momenten werden. Da singt am Ende die Trauergemeinde zu Jimmys Asche in der Urne „wie man sich bettet, so liegt man, da deckt einen keiner zu“ und häuft scheinheilig Blumen über Blumen neben seine Überreste.

Mirko Roschkowski (Jimmy)
© Jan-Pieter Fuhr

Als Gast gestaltete Mirko Roschkowski, der schon bis in den derzeitigen Bayreuther Nibelungenring mit seiner füllig weichen Tenorhöhe Aufmerksamkeit erregte, sympathisch und einfühlsam die Stationen in Jimmys Geschichte. Sally du Randt gab der Figur der Jenny spielerisch und vokal mitreißende Facetten, fiel zuweilen in opernhaftem Vibrato aus der Gruppe von Witwe Begbicks leichten Mädchen. Die profitgierige Witwe fand eine ideale Verkörperung in Kate Allens stringent herrischem Auftreten und dramatisch zugespitzter Mezzolage.

Geschäftstüchtig kümmerten sich Shin Yeo als Moses und Haozhou Hu als Fatty um neue Kundschaft, trafen den angemessenen, fast musicalartigen Ton ihrer durchtriebenen Lockungen ungezügelten Konsums hervorragend. Trotz aller Exzesse erspielten sich Bill (Wiard Witholt), Joe (Avtandil Kaspeli) und Jakob (Jinjian Zhong) geradezu Sympathie; die gemeinsame Arbeit im fernen Alaska hatte sie wohl aneinander geschweißt.

Sally du Randt (Jenny), Mirko Roschkowski (Jimmy) und Kate Allen (Leokadia Begbick)
© Jan-Pieter Fuhr

Der Opernchor des Staatstheater (Einstudierung Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek) agierte mit spielerischem Schwung und klangvoller Dichte. Die rasante Durchmischung von Opern-, Kirchen- und Unterhaltungsmusik im Werk des späteren Hollywood-Komponisten Kurt Weill brachten die Augsburger Philharmoniker bestens zur Geltung; Annalena Hösel behielt, selbst noch mit rotem Rossini-Drink in der Hand, die Fäden der auch räumlich verzweigten Handlung unter temperamentvoller Kontrolle.

Auch wenn das fiktive Gesellschaftsmodell von Mahagonny alles andere als wünschenswert ist: ein zum Nachdenken anregendes Opernerlebnis ist es am Staatstheater Augsburg allemal!

****1
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“ein zum Nachdenken anregendes Opernerlebnis am Staatstheater Augsburg”
Crítica hecha desde martini-Park, Augsburg el 2 marzo 2025
Weill, Rise and Fall of the City of Mahagonny
Staatstheater Augsburg
Ivan Demidov, Dirección
Annalena Hösel, Dirección
Jochen Biganzoli, Dirección de escena
Wolf Gutjahr, Diseño de escena
Katharina Weissenborn, Diseño de vestuario
Dominik Scharbow, Diseño de iluminación
Augsburger Philharmoniker
Chor des Staatstheaters Augsburg
Sophie Walz, Dramaturgia
Kate Allen, Leokadia Begbick
Haozhou Hu, Fatty
Shin Yeo, Trinity Moses
Sally du Randt, Jenny Smith
Mirko Roschkowski, Jimmy Mahoney
Wiard Witholt, Billy
Jinjian Zhong, Jacky O'Brien, Tobby Higgins
Avtandil Kaspeli, Joe
Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek, Dirección de coro
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