Die Frage, ob es auch ohne Originalklang ginge, drängt sich heute mehr denn je auf, wenn ein Werk wie Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe auf dem Konzertprogramm steht. Beinahe scheint es so zu sein, als würden die nicht gerade wenigen existierenden Originalklangensembles auf höchstem Professionalisierungsniveau die Aufführungen solcher Werke untereinander aufteilen.
Tatsächlich: Aufführungen mit einem modernen Orchesterapparat werden seltener, zumal sie auch unter dem Diktum stehen, dass sie die Werke Bachs und anderer Zeitgenossen nicht mehr zeitgemäß aufzuführen vermögen. Die Wiener Symphoniker traten am Wochenende bei ihrem Konzert beim OsterKlang Wien im Wiener Konzerthaus den Gegenbeweis an. Gemeinsam mit einem exquisiten Solistenensemble und der Wiener Singakademie präsentierten sie eine solide Aufführung, die sie ihrem ehemaligen Orchestermitglied, dem vor kurzem verstorbenen Nikolaus Harnoncourt, gewidmet hatten. Dass in dieser Widmung in der Verbindung zur Frage nach dem Originalklang eine gewisse Pointe liegt, konnte das Orchester bei dieser Aufführung gelassen ignorieren.
Die Wiener Symphoniker boten unter Philippe Jordan nicht einen romantisierend übersättigten Klang, sondern ein feinsinnig musiziertes, ja pittoreskes Klanggebilde, dass die Messe in einer wirkungsvollen Umsetzung zu Gehör brachte. Jordan, das war spürbar, arbeitete fein die Stimmführungsfinessen dieser wohl letzten großen Komposition Bachs heraus und setzte, stets wo nötig, Akzente, ohne dabei in Manierismen zu verfallen. Ein besonderes Lob haben vor allen Dingen die Instrumentalsolisten des Abends verdient. Sie boten sich den Gesangsolisten als wirkliche Partner, nicht nur als Begleiter an und hatten einen großen Anteil an der gelungenen Umsetzung der Partitur.
Auch die Wiener Singakademie zeigte, dass sie mit ihrem künstlerischen Leiter Heinz Ferlesch viel an Bach gearbeitet hatte. Mit mittlerer Chorstärke – die Zeit von Massenchören bei Aufführung Bach'scher Werke ist wohl zum Glück vorbei – bot das Chorensemble eine wohltuend zurückgenommene Aufführung dieses Opus. Vielleicht, dieser Einwand sei eingeworfen, war die Zurücknahme für die Sängerinnen und Sänger doch zu viel, denn im einleitenden Kyrie wollten die ersten Einsätze nicht ganz so mit Mut gelingen, wie sie eigentlich gesungen werden sollten. Nachdem der Chor aber diese Klippe umschifft hatte, brachte er eine souveräne Ausführung der ersten Fuge des Abends. Eine weitere kleine Schrecksekunde ergab sich nach der Pause im Credo: In der rund ersten Minute des Satzes wankte der gesamte Aufbau etwas, doch das Ensemble fing sich auch hier und gestaltete den Rest der Messe mit klanglich schönen Stimmen. Als einziger Beigeschmack blieb der Sopran zeitweise etwas schrill, doch Bach verlangt diesem auch einiges an Höhe ab.