Ähnlich wie bei Haydn sowie dessen berühmtesten Oratorien, von denen er Die Jahreszeiten just vorvorletzte Woche auch noch live vorstellen wollte, jedoch absagen musste, und der Karfreitagsmusik Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze, ging Jordi Savall bei Bachs Passionen vor. Nach Einspielungen und Aufführungen der Markus- und Matthäus-Passion 2018 und 2019 sollte zur Karzeit 2020 die Johannes-Passion als Drittes im Bunde folgen. Bekanntlich machten die damals ersten harten Coronamaßnahmen dieses Unterfangen zunichte. In zwingender Nachholrealisierung war nun die Zeit für sie gekommen; dem Stück, von dem der Gambist und Dirigent in einem Interview 2016 meinte, sein schönster Moment sei die Arie „Es ist vollbracht“. Nicht verwunderlich, inszeniert diesen Kulminationspunkt kargedenklichen und ostervoraussetzungserforderlichen Todes Jesu doch die dafür barocküblich besetzte Viola da Gamba. Zu ihr griff Savall, um den dezenten, beweglichen, angenehmen Altus Raffaele Pe einfühlend und souverän sauber zu begleiten.
Innerhalb des Tourkalenders ist es dabei durchaus ein kleines Prestige, wer im terminlichen Koordinieren den Zuschlag für den originalen Anlasstag der Passionsmusik erhält. Dieses Mal war es – noch dazu zum exakt 300. Jahrestag der Erstaufführung – das Konzerthaus Dortmund, das sich geehrt fühlen konnte, die Gäste aus Barcelona und natürlich vielen weiteren Ecken Europas für das Eintauchen in die bibeloratorische Leidensgeschichte Christi begrüßen zu dürfen. Die Musiker hatten bereits fünf Konzerte und die CD-Einspielung hinter sich, was man – wie beim Altus angeführt – überwiegendenteils äußerst positiv, allerdings leider auch mit einer großen Einschränkung hörte. Zunächst zum solistischen Aber, das ausgerechnet in der Funktion des Evangelisten begründet lag, war Jan Petrykas Stimme angeschlagen und zu oft indisponiert, die intervallischen Übergänge in die Höhe zu bewerkstelligen. Den also vermehrten intonatorischen Trübungen folgte manchmal ein leichtes Pressen und gar eine anscheinend beibehaltene textlich sonderbarere Akzentuierung, wenngleich sein Tenor bei allen Widrigkeiten eigentlich eine sonst weiche Basis, eine schöne Mittel- und tiefe Lage hatte sowie zentrale dramatische Ausdrücke des beschriebenen Weinens, Geißelns und Erdbebens gut gelangen.