Die Basel Sinfonietta feiert in dieser Saison das 35. Jahr ihres Bestehens. Im Zentrum der breit gestreuten Aktivitäten des Orchesters steht die Neue Musik und deren Vermittlung. Dirigent in diesem Konzert war der junge isländische Komponist Daníel Bjarnason (*1979); er trat ruhig, unauffällig, ja bescheiden auf, leitete aber das Orchester mit großer Sachkenntnis und Vertrautheit mit den Partituren. Es begeisterte, wie konzentriert, engagiert und gekonnt das Orchester agierte. Da war während des ganzen Abends nicht eine Unsicherheit zu hören, es „stimmte“ einfach alles.
Gespielt wurden ausschließlich Werke von isländischen Komponisten und einer Komponistin, mit einer Ausnahme alle jung und aus der gleichen Generation (Jahrgänge 1976 – 1987). Es ist für Kontinentaleuropäer faszinierend, festzustellen, wie anders ausgerichtet das Leben in Island sein muss: bei uns ist vieles im künstlerischen Schaffen vom Alltagsleben, oder der Flucht daraus, sowie von zwischenmenschlicher Interaktion geprägt. In den gespielten Werken hingegen dominieren Eindrücke von und Betrachtungen zur unbelebten Natur und abstrakte Ideen und Konzepte, allenfalls mit gelegentlichen Querbezügen zu traditioneller europäischer Musik. Dies allein machte den Abend zu einem erfrischenden und eindrücklichen Erlebnis.
Das Konzert wurde eröffnet mit einer Komposition des Stammvaters isländischer „klassischer“ Musik, Jón Leifs, mit dem Titel Geysir. Sie beschreibt den Ausbruch eines Geysirs mit seinem Vorspiel: es beginnt mit dem Kontrafagott, in das andere tiefe Instrumente erst mikrotonal einstimmen, dann zu reinen Tönen und Harmonien und wogenden Akkorden finden. Graduell baut sich ein gewaltiges Szenario Wagnerscher Dimension auf, mit impressionistischen Klangflächen. Sehr bildlich, zugleich originell fühlt man das Rumpeln und Beben der Erde, sich verstärkende Wellen, mit Getöse, Brausen, Rauschen im Ausbruch, danach dessen allmähliches Nachlassen und sich Beruhigen – nicht zur Stille, doch zur Bedrohungslage des Anfangs: fast plakativ, dennoch nie ins Triviale abgleitend, jedenfalls sehr eindrücklich.
Das zweite Werk, As heard across a room, stammt von Þráinn Hjálmarsson und stellt dar, „wie sich ein geräuschhafter Anlass auf der anderen Seite eines Raumes anhört“, versucht also, die Räumlichkeit eines akustischen Ereignisses und seinen zeitlichen Verlauf mit akustischen Mitteln darzustellen. Es beginnt mit einem sachte wogenden Rauschen aus dem ganzen Orchester, und der Komponist schafft es tatsächlich, Geräusche und ihr Echo, aber auch den Klang wie aus einem anderen Raum vorzuführen, Akustik wird fast bildlich erfahrbar – sehr originell! Allmählich gesellen sich dazu gehauchte, entfernte Melodiefragmente, Klänge wie von Aeolsharfen, Erinnerungen an Kuhreihen vielleicht, Glissandi, sich zu Wellen aufbauende, klangliche Hügellandschaften in der Ferne; nie laut, eher wie der Atem einer schlafenden Fee, begleitet von gehauchten Pfeiftönen: faszinierend und bezaubernd!
Aerality von Anna S. Þorvaldsdóttir hingegen beschreibt den „Zustand des Gleitens in der Luft“: ein Paukenschlag eröffnet einen Kosmos von melodischen Fragmenten; Obertonreihen über einem urtümlichen Brausen und dem kontinuierlichen Dröhnen eines gewaltigen Gongs, Schläge von Streichinstrumenten und Perkussion. Mal glaubt man, das Gemurmel einer Menschenmenge zu hören, danach das Weben der Natur über Urgewürm in der Tiefe. Farben des Himmels und der Wolken eher als belebte Natur, das Spielen des Windes mit Gegenständen, das Wechselspiel von Licht, Luft und Wolken, gefolgt vom klaren Licht nach einem läuternden Unwetter. Faszinierend ist, abgesehen von der Musik, schon alleine das Beobachten des überaus reichen Instrumentariums: ich hatte den Eindruck, dass alles, was irgendwie Klang erzeugen kann, im Orchester auch vertreten war, vom Glockenspiel und Perkussionsinstrumenten bis zu Boomwhackers, und auch konventionelle Instrumente werden in sehr ungewohnter Weise zum Klingen gebracht.