Das Chamber Orchestra of Europe ist auf Tournee durch Europa, auf der der Schweizer Thierry Fischer bei kurzfristig für den erkrankten Vladimir Jurowski eingesprungen ist. Das anspruchsvolle Programm bleib dabei unverändert, beginnend mit der 1968 entstandenen Zehnten Symphonie des Polen Mieczysław Weinberg, der die meiste Zeit seines Lebens in der Sowjetunion verbracht hat.
Die Klangsprache des Werks ist zwar an diejenige von Weinbergs Mentor Schostakowitsch angelehnt, dennoch durchaus eigenständig: polytonal, aber weniger motorisch, eingängig, lebendig, keineswegs radikal. Das COE wurde hier vom sachlich-beschwingt auftretenden Thierry Fischer mit verhaltener Gestik dirigiert; man hatte den Eindruck, die äußerst kompetenten Spitzenmusiker des Ensembles seien mit dem Werk so vertraut, dass sie im Konzert nur noch ein Minimum an Führung benötigten. Dies ist natürlich auch der sehr aktiven Rolle der Konzertmeisterin Lorenza Borrani zu danken, die in den anspruchsvollen Soli ihr stupendes Können unter Beweis stellte.
Die Symphonie beginnt mit einem Concerto grosso überschriebenen Satz, eine Ouvertüre im barocken Stil mit pompöser Einleitung. Ich fühlte mich trotz moderner Tonalität sogleich wie in der Klangwelt des 18. Jahrhunderts zu Hause. Auch das anschließende Fugato folgt barocken Mustern, wobei eingängige Melodik mit Polytonalität gewürzt wird. Vor der Rückkehr zum breiten, harmonisch-dissonanten Eingangsthema glänzte der Solocellist Richard Lester in einem intonatorisch anspruchsvollen Solo. Der ruhig-feierliche Folgesatz, Pastorale, überzeugte durch sorgfältig disponierte, feinst abgestufte Dynamik im Sordinospiel in wolkig-verhangener Stimmung; der Mittelteil allerdings hat es in sich: mit schnellen Doppelgriff-Passagen gespickte, virtuose Soli finden sich zuerst in der Violine, dann im Cello, werden zuletzt durch die Bratsche zum Trio ergänzt.
In der Burlesca wechseln sich von Dissonanzen untermalte, geschwätzige marcato-Soli der Celli ab mit wunderschönen flautando-Melodien; diese leiten über in den Schlusssatz Inversion, der mit einem Fugato äußerst virtuoser Solopartien anhebt. Nach einem raketenartig ansteigenden Glissando führen ruhigere Doppelgriff-Soli zu einem Abschnitt, in dem die Spannung über Tremolo-Crescendi ins Unermessliche zu steigen scheint, aber dann endet die Symphonie unvermittelt mit einem Rückgriff auf den Beginn des ersten Satzes. Insgesamt ein sehr virtuoses und zugleich unmittelbar eingängiges, unterhaltsames Werk, meisterhaft gespielt, in einer kleinen Besetzung mit 17 Streichern, eine Größe, die satten, homogenen Streicherklang und ausreichend Volumen erlaubt, ohne schlankes, transparentes Spiel zu behindern.
Das Zweite Violinkonzert von Prokofjew ist ein Herzstück in Patricia Kopatchinskajas Repertoire. Es war faszinierend zu beobachten, wie sie in und mit dieser Musik lebt, ganz in ihr aufgeht. Gebannt lauschte man schon ihren ersten, leise anhebenden, ohne Vibrato gespielten Tönen, und schon bald verschmolz die Protagonistin mit dem Orchester zu einem einzigen Organismus, stand mit dem Ensemble in beständiger Interaktion, nahm Impulse auf und gab sie an die anderen Musiker zurück. Selbst wenn der Solopart schweigt, ruhte die Violinistin in Bewegung und Mimik nie, so sehr nahm sie das Werk gefangen. Dabei kennt sie technisch keine Schwierigkeiten, meistert virtuoseste Passagen mit scheinbarer Leichtigkeit, bringt dazwischen Prokofjews wunderbare Melodien intensiv zum Leuchten, kann aber auch gegen Ende des ersten Satzes eine Spannung aufbauen, die es mit jedem Krimi aufnimmt.