Es mutet fast wie ein kleines Wunder an. Nach nur drei Jahren Planungs- und Erstellungszeit ist eine veritables neues Musikzentrum in München entstanden, das als Interimslösung die Kulturaufgaben des wegen Renovierung geschlossenen Gasteigs aufnimmt. Und das fast Unfassbare ist wahr geworden: bis auf einzelne Restarbeiten im Außenbereich ist die Einbettung der beeindruckenden Eingangsebene in die alte Transformatoren-Halle E der Stadtwerke optisch bestens gelungen, das architektonische Zusammenspiel des Foyers in zeitlosem Industriecharme mit dem neuem Konzertsaal in anthrazit-dunkelgrauen Holztönen stimmig. Noch dazu, zieht man Vergleiche zu den Baukosten anderer Philharmonie-Neubauten, entstanden hier Gesamtkosten von circa 70 Mill. Euro, davon 40 Mill. für das Herzstück der eigentlichen Tonhalle! Neben der kurzen Bauzeit befeuert das auch die Diskussionen über weitere Konzertsaal-Planungen, in München oder andernorts.
Man erlebt es nicht allzu oft, unter den Glücklichen der ersten akustischen Begegnung eines neuen Konzerthauses zu sein, mit Händen, Augen und Ohren dieses Geschenk gleichsam auspacken zu dürfen, es mit allen Sinnen zu berühren und zu entdecken. Und in dieser erstaunlichen „Vielharmonie“ Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker, die hier ihre neue Heimat finden, im ersten Konzert mit fünf musikalischen Meisterwerken zu erleben, die in unerwartet fantastischer Balance zwischen zarten Pianissimi und grell massiven Fortissimo-Ausbrüchen der Hundertschaft erstrangiger Instrumentalisten überzeugten.
Optisch vielseitig gelungen und klanglich vielsaitig brillant: für das Raumkonzept ist Yasuhisa Toyota verantwortlich, Klangdesigner von Nagata Acoustics, der schon die Suntory Hall in Tokio und die Hamburger Elbphilharmonie ausgestattet hat. Geplant in weitgehend rechteckiger Saalform mit breiter halbrunder Orchesteraufstellung an einer Stirnseite sowie in einzelnen Modulen zusammengefügten hölzernen Wandelementen, die für eine ausgeglichene Reflexion des Tonstroms sorgen, ergibt sich eine optimale Verbindung von leicht trockener warmtöniger Mischung und punktgenau deutlicher Auflösung des musikalischen Geschehens.
Es wäre ein Leichtes gewesen, mit einem Potpourri beliebter Klassikhits Partystimmung zur Einweihung zu erzeugen und Applaus eines breiten Publikums zu erheischen. Dass Valery Gergiev stattdessen ein faszinierendes Bouquet wenig bekannter Meisterwerke wählte, dessen französische Klangblüten ein besonders vielschichtiges wie geheimnisvolles Flair in den Saal zauberte, machte den Konzertabend zum kostbaren mehrgängigen Surprise-Menu.
Gleich zu Anfang die Uraufführung eines Orchesterwerks von Thierry Escaich, der als Improvisator und Organist (und ein Nachfolger von Maurice Duruflé an St.-Étienne-du-Mont in Paris) erfolgreich ist. Seine dreiteiligen Arising Dances für großes Orchester bauten sich aus bluesigen Bläserschleifen in anschwellendes Tutti eines frenetischen Walzers auf, mobilisierten mechanische Motorik von Posaunengruppe und Schlagwerk bis ins Staccato des Orchesters, ließen eine eher verspielte Sarabande in ein kreisendes Motiv münden. Als Bindeglieder ein sich aufbauendes Lamento von einem Streichquartett, orchestral und mit expressiver Trompetenhymne, die weiträumig flirrenden Glanz über das dunkle Klanggemälde legte, das zur Grundstimmung des Raums hervorragend passte. Gergiev und die Philharmoniker musizierten von Abschnitt zu Abschnitt intensiver, brachten ein Kaleidoskop immer neuer Farben zum Klingen, führten die Hörer durch Geheimnisse und Fähigkeiten des Konzertsaals: ein Werk zum unbedingten Wiederhören!