Das Hagen Quartett gibt seit Jahrzehnten Konzerte, die zu den bedeutendsten Darbietungen der Kammermusik gehören. Das liegt nicht allein daran, dass darin feinsinnig-geistreich musiziert wird, sondern dass es dem Ensemble gelingt, durch ihre Gewichtung in Haupt- und Nebensache, tatsächlich Einblicke in die Kompositionen freizulegen.
Wenn Lukas Hagen zu Beginn von Haydns spätem B-Dur-Quartett seine Violine über dem ausgehaltenen Dreiklang der anderen drei Streicher eine anmutig vorzutragende Arabeske aufsteigen ließ, entstand nicht allein ein Klangzauber im sfumato, sondern darin wurden die Motive des Satzes vorbereitet. Veronika Hagen, die die Fäden von ihrer Mittelposition der Viola aus mit viel Blickkontakt nach rechts und links am gesamten Abend zusammenhielt, stellte danach nicht einfach eine Frage, sondern entwickelte diese aus einem Motiv, und selbst in der fast orchestral musizierten Überleitung wurde nicht allein brillant gespielt, sondern hörbar gemacht, dass in ihr ein Motiv aus der Arabeske beschleunigt und weitergetrieben wurde. Im zweiten Thema ließ dann Clemens Hagen in seinem Violoncello die Arabeske vom Beginn als freie Umkehrung des ersten Themas in die Tiefe sinken.
Das Adagio wurde als freie Fantasie über die fünf Töne entfaltet, aus denen die erste Choralzeile des Satzes gebildet wurde. Auch hier wurde im Schönklang die Form durchleuchtet. Das Menuett bildete einen burschikosen Kontrast dazu. Zu Beginn des Finales brachten Synkopen das Taktgefühl erheblich durcheinander, bevor in der Stretta in höchster Virtuosität alle Gestalten komplett zerstoben wurden.
Auch Ravels Quatuor a cordes wurde nicht allein als klangschöner Leckerbissen dargeboten, auch wenn die vielen Raffinessen in der Instrumentalbehandlung prächtig herausgespielt und ausgekostet wurden. Das zu Beginn exponierte „thème générateur“ wurde wie ein Kinderlied vorgetragen, sein pentatonisches Kopfmotiv im Lauf des ersten Satzes ständig transformiert, und dies nicht allein, um so ein Beziehungsnetz zu spannen, sondern um seine Geschichte nacherzählen zu können.
Die metrischen Komplikationen des Pizzicato-Themas, mit dem das Scherzo anhebt, wurden mühelos vorgetragen. Auch wenn nichts in seiner Thematik auf spanische Folklore hindeutet, atmete der Satz unten dem Zupfen und Klimpern der Hagens deren Aroma. Höhepunkt war die Darbietung des rhapsodisch angelegten langsamen Satzes, der wie eine Opernszene musiziert wurde. Die zu Beginn gestellten Fragen blieben unbeantwortet, dann sang Veronika Hagen eine berührende, mehrfach unterbrochene Klage-Arie. Gespenstisch tauchten traumatische Erinnerungen an das „thème générateur“ auf. Die Fragen vom Beginn wurden zwar intensiv wiederholt, ob aber die Schlusstakte wirklich eine Antwort auf sie geben sollen, ließen die Hagens offen.