Mit Werken von Robert Schumann und Johannes Brahms bewies das Hagen-Quartett und, im zweiten Teil Jörg Widmann, einmal mehr, dass sie vermögen, ihr Publikum in die Komponierstube mitzunehmen. Davon zeugte ihr jüngster Auftritt im Pierre Boulez Saal in Berlin.
Zunächst fühlte ich mich bei der Aufführung von Schumanns Drittem Quartett wie „in Geheimnis Stand“ versetzt – alles klang mehr wie gehaucht, denn intoniert: wie im Nebel tönte die Introduktion, und der Beginn des Themas war wie aus vergangenen Zeiten zitiert. Wer das Stück nicht kennt, vermutete vielleicht, es lüde zum Tanzen ein, doch dann setzte unvermittelt ein kleiner Kanon ein, und so ging es den ganzen Satz weiter. Alles schien so, als mache sich das Hagen-Quartett auf die Suche nach etwas, was es nicht mehr gibt. Selten war etwa ein gesangliches Thema so angestrengt vorgetragen, so mühsam errungen wie von Violoncellist Clemens Hagen gespielt.
Das ist – um Missverständnissen vorzubeugen – höchstes Lob! Denn die Aufführung traute sich zu zeigen, dass der Komponist während der Arbeit womöglich an seine Grenzen gestoßen war. In fahlen Tönen deckte sie das Grübeln des Komponisten auch in der Durchführung auf, wo Schumann alles auftürmte und doch zu keiner Lösung kam. Mit großer Sorgfalt in der Tongebung und trefflichem Kunstverstand wurde das Satzende wie als Abflachung des Verlaufes vorgetragen, so als gelte es, einen dezidierten Schlusspunkt zu vermeiden. Die wie nachgereichte Bassklausel im Violoncello klang denn auch wie ein Fragezeichen und nicht wie ein Punkt.
Auch der Beginn des zweiten Satzes wurde so fragil gespielt, dass die Motive wie verweht und zerstreut wie nach ihrer Gestalt suchten. Die Flucht in den Kontrapunkt wurde vortrefflich ebenso als vergebliche Wunschvorstellung nach Sicherheit in der etablierten Kompositionstechnik entlarvt, wie die Anklänge an das Siciliano im Trio, die Vertrautheit nur vortäuschten. In der Coda ließ das Hagen-Quartett dann die Phrasen wie Spiegelbilder einander reflektieren und die Musik einfach verklingen.
Im massiv-schwergängigen Thema des Adagio-molto-Satzes durfte Gesanglichkeit sich dann doch einmal entfalten, gar Schönklang aufblühen. Auch diesen Satz ließen die Vier, diesmal in morendo-Punktierungen, mehr auslaufen, als dass sie ein letztes Wort formuliert hätten.Im Rondo schien zunächst ein Kehraussatz seinen Lauf zu nehmen. Doch auch hier verriet ihr Spiel, dass sie den heiteren Ton des Satzes als Maskerade durchschaut hatten und auch als Spiel im Spiel vortrugen.