Wenn vom Oratorium Saul und damit der vertonten Geschichte um die von Gott und seinem Propheten Samuel geregelte Machtfolge zwischen dem amtierenden Israelitenkönig und dem durch seine Demut vor dem Herrn und Bescheidenheit als kämpferischer, harfespielender Heimatbursche beliebtere David die Rede ist, denkt jeder unvermittelt an Georg Friedrich Händels Werk, nicht aber an dasjenige Ferdinand Hillers. Wie sein kurzzeitiger Chef und ihm als jüdisch-protestantisch-konvertierter Pianist, Dirigent, Komponist, Pädagoge, Schriftsteller und Kritiker in vielem so ähnlicher Zeitgenosse Mendelssohn beschäftigte sich Hiller – mitunter als Leiter der Niederrheinischen Musikfeste und des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf – mit der eigenen, großen Reproduktion der wieder liebgewonnenen biblischen Chorwerke des Barock, die allerdings in keinem Spielplan mehr auftauchen. Einem solchen absoluten Vergessen von Stücken oder Komponisten entgegenzuwirken, hat sich Michael Alexander Willens' Kölner Akademie verschrieben; diesmal zudem vom heimischen Ansporn und den Festivitäten zum Gedenkjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland” getragen, Hiller als ehemaligem Musikdirektor der Stadt Köln ins historisch angemessene Licht zu stellen.
In dieses möchte ich vorab Willens' Umsetzung mit einem zur Referenz des einleitend Gesagten tauglichen Zitat der Niederrheinischen Musik-Zeitung vom 9. Januar 1858 leuchten, also eine nach Fertigstellung erfolgte Ankündigung späterer Saul-Uraufführung: „[...] Seine Zerstörung von Jerusalem hob ihn mehr als alle seine früheren Compositionen auf die Höhe eines europäischen Rufes […]; […] Im Saul hat nun aber Hiller einen bedeutenden Schritt weiter gethan, indem er […] der Gattung, zu welcher das Werk gehört, durch gediegene polyphone Arbeit den ernsten und würdigen Charakter bewahrt. Diese Vereinigung […] ist auf eine meisterhafte Weise durchgeführt und wird ferner durch eine geniale Behandlung des Orchesters theils vermittelt, theils gehoben […]. […] Es ist moderne Musik, sie wurzelt im Charakter der Zeit, aber sie hält fest an dem Gesetze, dass das musicalisch Schöne ihr Hauptinhalt sein müsse.“
Diesen eigenen Stil Hillers – zuletzt hatten ihn Konzertgänger übrigens 1920 hören können! – aus lied-lyrischer und theatralischer Sprache, versetzt mit bibelexotischem Dialekt im harmonischen Gefüge, erweckte Willens lohnens- und dankenswerterweise endlich erneut zum Leben. Unabhängig von meinem generellen Geschmack und der Aufforderung des zeitzeuglichen Zeitungsautors, wonach „dem Oratorium auch der Ausdruck menschlicher Leidenschaften nicht fern bleiben darf“, zwecks größerer Überzeugungsleistung diesen Odem in seiner Dramatik instrumental und chorisch noch griffiger und energischer herauszubringen, gebühren dem Dirigenten die Lorbeeren für den stetigen Wagemut praktizierter Wiederentdeckungsarbeit. In weitestgehender Übereinstimmung zum Merkmal der Gediegenheit und – aus dem Naturell des nicht übertriebenen Actionproduzenten – in eigener David'scher Demut vor der Wirkung aus sich selbst heraus stellte Willens in der Durchsichtigkeit der historischen Instrumente (erstmals zu erblicken war darunter ein Helikon) sowie der Besetzung von Kölner Akademie und Solisten Ehrwürdigkeit, Rollenauthentizität und Bewältigungsfähigkeit des Chores in den Mittelpunkt.