Der Prolog zu Thomas Larchers Oper Das Jagdgewehr mit Claudio Monteverdis O rossignuol fand im klassizistisch strengen Foyer des Münchner Cuvilliés-Theaters statt: auf der von Sonne überstrahlten Galerie wandelten die Mitglieder der Zürcher Sing-Akademie im ruhigen Takt der idyllischen Renaissance-Musik. Ein Stilbruch? Sicher, aber gerade diese Brüche machen die Neuinszenierung des 2018 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführten Opernstoffs im „JA, MAI“-Festival mit den jungen Sänger*innen des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper so sehenswer.
Es ist eine im japanischen Bürgertum spielende Dreiecksgeschichte in der Inszenierung der Berliner Regisseurin Ulrike Schwab und der Bühnenbildnerin Jule Saworski, beide häufig in den Berliner Spielstätten für experimentelles Musiktheater aktiv. Keine brave Teestunde wird da zelebriert, nur einmal nebenher Sushi gerollt; dafür lässt jede Menge greller Beleuchtung, experimentierfreudige Bewegungsregie und ein metallisch spiegelndes Bühnenbild die zentrale Frage, wie der Mensch mit Sprachlosigkeit und Verlassenheit umgeht, allgemeingültig erscheinen.
Auf Yasushi Inoues Novelle von 1949 fußt das Libretto von Friederike Gösweiner: Josuke Misugi, ein Mann zwischen zwei Frauen, ein scheinbar heimliches Doppelleben mit Ehefrau Midori und seiner Schwägerin Saiko. Und dazu macht sich deren Tochter Shoko ihre eigenen Gedanken. Ein Dichter hat ein Prosapoem Das Jagdgewehr über einen einsamen Jäger veröffentlicht, den er im Gebirge beobachtet hatte, eine lyrische Diagnose tiefer Einsamkeit. Misugi, der sich als der Jäger im Gebirge wiedererkannt hat, meldet sich bei ihm und schickt ihm drei Briefe zu, in denen die Frauen ihm ihre Gefühle offenbarten. Die duldsame Midori weiß eigentlich seit langem Bescheid, wird sich nun von ihm trennen. Saiko zieht aus ihrem schlechten Gewissen Konsequenzen und wird Selbstmord begehen. Und Shoko möchte den Onkel nicht mehr wiedersehen, weil sie aus dem Tagebuch der Mutter deren Geheimnisse jenseits aller Konventionen erfahren hat. Misugi repräsentiert das lange in Japan (und nicht nur dort) für einen Erwachsenen geltende Ideal des herben, wortkargen Mannes.
Es sind nur fünf Personen, die in Saworskis fünfeckiger Tunnelröhre meist ruhig konzentriert und doch immer bewegt agieren, deren Segmente zeitweise gegeneinander verschoben werden und zwischen die Mobilar geschoben werden kann oder Vorhänge und scherenschnittartige Wände eingezogen werden. Die verspiegelten Innenflächen vervielfachen die Bewegungen im Raum, setzen das Spiel wie unwirklich schwebend in eine neue Dimension fort. Die von Florian Helgath hervorragend präparierte Zürcher Sing-Akademie, mal an der Rampe, im Seitenrang oder im Hintergrund der Bühne, ist hier weniger eine kommentierende Instanz, sondern ein klangnobler musikalischer Verstärker und Modulator in die Tiefe eines eigenen Klangraums.
„Was ist denn diese Qual, die jeder in sich trägt?“ Der Waliser Dafydd Jones, einziger „Außenstehender“ im Beziehungsgeflecht, versucht als Dichter einzuordnen, zu erklären, was da mit gewisser Konsequenz abläuft. Sein metallisch strahlender Tenor leuchtete klar auch über komplexe Klangstrukturen.