„Stets findet Überraschung statt / Da, wo man's nicht erwartet hat”, dichtete schon Wilhelm Busch. Aber das ist gerade der Charme an Live-Aufführungen – einiges ist unvorhersehbar: In der 24. Aufführung der lodengrünen Landwirtshaus-Inszenierung von Andreas Homokis Lohengrin an der Wiener Staatsoper waren das ein Dirigent, der zur Begrüßung ausgebuht und zur Verabschiedung bejubelt wurde, und ein sensationeller zweiter Akt, der gemeinhin als weniger populär als der erste und dritte Akt gilt.
Wie das, und warum beginnen wir nicht Piotr Beczała in der Titelpartie, also der Hauptattraktion des Abends? Nun, zunächst sorge Valery Gergiev für einen buchstäblichen Showstopper. Er wurde als im Stau stehend angesagt und betrat den Graben – unter teils heftigen Buhrufen – eine gute Viertelstunde später als erwartet. Allerdings verfügt er über die stählernen Nerven von Zuspätkommenden (er ist diesbezüglich Wiederholungstäter) und ging gleich in medias res, noch bevor das Duell zwischen Empörten und Applaudierenden entschieden war. Und wie er zur Sache ging! Möglicherweise erhitzt von der Eile und den Unmutsbekundungen geriet die Ouvertüre weit weniger ätherisch als gewohnt. Allerdings hatte diese Robustheit, welche sie in die Nähe eines Heimatfilm-Vorspiels rückte, auch einen gewissen Reiz, zumal Homoki „Es gibt ein Glück, das ohne Reu“ (Elsa, zweiter Akt, zweite Szene) zum Motto seiner Inszenierung erkoren hat. Man könnte es fast für gut und richtig befinden, so man es nicht besser wüsste (oder zumindest anders lieber hätte).
Trotzdem hakte so einiges im ersten Akt; insbesondere wurde leider deutlich, dass die große Zeit des Ain Anger (Heinrich) schon vorüber sein dürfte. Das Wort Heinrichs hat zu gelten und sollte nicht wackeln, ebenso wenig wie das des Heerrufers; als Letzterer ließ sich Boaz Daniel da ein wenig von Angers Unsicherheiten anstecken, obwohl er im Laufe des Abends dann doch zu seiner gewohnten Form fand. Immerhin hielt Egils Siliņš als Telramund tapfer dagegen und rettete die Ehre der irdischen Herren, die von Piotr Beczała als Lohengrin wie erwartet überstrahlt wurden. Zwar tat er sich zu Beginn mit dem im-Nachthemd-am-Bauch-Singen einigermaßen schwer (wie alle anderen Wiener Lohengrin-Darsteller auch), aber bald bestach er mit seinem schmelzenden Timbre und kluger musikalischer Gestaltung. Ein großes Bravo auch für das vollkommen idiomatische Deutsch.
In der Gunst des Publikums ist ihm Haus- und Rollendebütantin Cornelia Beskow als Elsa dicht auf den Fersen, allerdings sollte sie noch ein wenig am Vokal Ü feilen; dieser klingt abseits der rezitativischen Passagen eher wie ein Y. Das ist natürlich eine Kleinigkeit, fällt aber auf, weil die Stimme dadurch in der Höhe enger als notwendig wird. Abgesehen davon hörte man einen angenehm hellen, jugendlich schlanken Spinto-Sopran und erlebte eine höchst engagierte schauspielerische Leistung – eine große Nachwuchshoffnung, so sie auf ihr Instrument gut aufpasst.