Die Strauss-Fans jubeln, und das ist gut so: Das Operngeschäft lebt nicht nur von den großen Gefühlen auf der Bühne, sondern auch von den Emotionen der Fans, die ihren Lieblingen oft ewige Treue halten und sie mit lautstark geäußerter Zuneigung zu Höchstleistungen anspornen. Bei Dirigenten wie Christian Thielemann reicht schon das Erscheinen im Graben für Euphorie, von der man sich gern anstecken lässt.

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Camilla Nylund (Arabella)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Die besprochene Vorstellung von Arabella an der Wiener Staatsoper war tatsächlich ein tolles Erlebnis, aber die angesagte Offenbarung, das vorösterliche Wunder blieb aus, denn dazu hätte es noch ein bisschen mehr gebraucht. Natürlich: so detailreich und nuanciert hört man Strauss‘ komplexe Orchestrierung selten, aber gerade im Versuch, wirklich alles aus der Partitur herauszuholen, konnte das Staatsopernorchester, obwohl auf hohem Niveau spielend, nicht immer alles geben – da blieb im Perfektionsdrang mitunter auch die Emotion ein wenig auf der Strecke. Vielleicht hätte es zur Vollendung auch einfach mehr Proben gebraucht. Allerdings ist das Kritik auf höchstem Niveau, denn bei so manchem Dirigat dieser Saison wäre man froh gewesen, nur einen Funken von Thielemanns Klasse zu verspüren.

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Michael Volle (Mandryka)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Auch Michael Volle wird in Wien zu Recht Verehrung zuteil, und bei seinem Mandryka wird es tatsächlich vielen so wie Arabella gehen, wenn sie ihn als den erhofften „Richtigen“ erkennt. Volle lieferte eine vom Beginn bis zum Schluss hervorragende sängerische und auch darstellerische Leistung. Wenn man ein Haar in der Suppe finden will, dann vielleicht, dass dieser Mandryka zu perfekt war – die von Hofmannsthal bewusst geschriebenen Fehler, die ein Provinzler aus dem Südosten der Donaumonarchie wohl gemacht hätte, ließ er unter den Tisch fallen – wohl in der Erkenntnis, dass „Spaßettln“ wie „der Donau“ bei Österreichern oder eben Sängern aus dem Gebiet der ehemaligen Kronländer besser aufgehoben sind.

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Ilia Staple (Die Fiakermilli) und Ensemble
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Beeindruckt war man von der Zielstrebigkeit dieses Mandryka, Arabella zu ehelichen, erschüttert vom Zorn über deren vermeintlichen Betrug. Die Annäherung der Liebenden selbst geriet aber fast ein wenig zu distanziert-philosophisch. Erst als sie sich an der Hand hielten, sprang der Funken zwischen ihm und Camilla Nylunds schon länger gedienter, aber immer wieder gern gehörten Arabella über. Sie schaffte den Spagat zwischen ihrem Anspruch als braver Tochter, die eben auf den „Richtigen“ wartet (und ihn durch die Chuzpe ihres nichtsnutzigen Vaters auch bekommt), und der Lebenslust, mit der sie sich mit den für den Moment „gerade richtigen“ Verehrern vergnügt. Ihre Stimme ist immer sicher und nobel geführt, doch geraten die Ausbrüche in der Höhe mitunter dramatisch laut statt lyrisch. Sabine Devieilhe verortet man mehr bei Mozart und im Belcanto, brachte aber als Arabellas Schwester Zdenka einiges an Komik ein.

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Sabine Devieilhe (Zdenka)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Adelaide, die Mutter der beiden, ist eine köstlich exaltierte Partie, aus der Margaret Plummer ebenso das Beste herausholte wie Stephanie Maitland die Kartenaufschlägerin zwischen Esoterik und vorgeblich ernsthafter Lebensberatung gab. Weniger überzeugend war Ilia Staples Fiakermilli, die eher mit ihrer quirligen, sympathischen Bühnenpräsenz als mit ihrer Koloratur punktete, da wäre mehr Treffsicherheit gefragt gewesen. Als spielsüchtiger Vater gefiel Wolfgang Bankl, der das Wienerische auch in Hofmannsthals gekünstelt-antiquierter Form bestens zur Geltung brachte. Er verlieh diesem großmäuligen Graf Waldner genau jene stimmliche Autorität, mit der das Fehlen der finanziellen Potenz überspielen werden soll. Dass von ihm und seiner Frau Adelaide keine besonders braven Mädel abstammen können, merkte man auch in der (sonst leider oft gestrichenen) Szene, in der sich Adelaide von Graf Dominik „viel schöner als jemals die Tochter“ umgarnen lässt.

Als Letzterer war Martin Häßler kaum zu erkennen, das mindert aber seine Leistung nicht. Die Sänger der drei Verehrer, mit denen sich Arabella den ganzen Fasching um die Ohren geschlagen hat, genießen anscheinend die Rolle der zwar erwachsenen, aber dummen Buben, als die sie Regisseur Sven-Erich Bechtolf sieht (es hat wohl einen Grund, warum es „Playboy“ und nicht „Playman“ heißt). Das Werben der drei könnte natürlich ein ernsthafter „männlicher“ Wettbewerb sein, das Libretto ermöglicht aber auch die gezeigte Lesart, und so darf auch übertrieben werden, etwa wenn Norbert Ernsts Elemér mit seinen Rappen angibt, oder Clemens Unterreiners Lamoral mit einem „Von wem hab‘ ich diesen wunderbaren Kuss?“ bei Arabellas Abschied. Da gerät Unterreiner das S so scharf wie sich Lamoral in seiner Fliegeruniform wohl findet. Generell tut die Inszenierung, die Arabella in ihrer Entstehungszeit (Uraufführung 1933) verortet und mit dem Cross-Dressing der Ballgäste den Spaßfaktor betont, immer noch gute Dienste.

Camilla Nylund (Arabella) und Michael Volle (Mandryka) © Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Camilla Nylund (Arabella) und Michael Volle (Mandryka)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Matteo, den sinnlos in Arabella verliebten Offizier, den am Ende Zdenka bekommt, gibt Michael Laurenz. Man schätzt ihn als Charaktertenor mit Spielwitz (etwa aus den Dienerrollen in Hoffmanns Erzählungen), und als Matteo trifft er genau den Charakter, den Strauss in Musik gesetzt hat: Ein überspannter Geck mit einer Obsession für Arabella, der beim geheimen Stelldichein mit Zdenka gar nicht merkt, dass er nicht eine Divenfigur liebkost, sondern das, was Papa Waldner wohl ein zartes Henderl nennen würde. Zur starken gestalterischen Leistung kam die gesangliche, denn die in Lautstärke und Tonhöhe anschwellenden Phrasen hört man selten in dieser Perfektion.

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