So oft wie keine anderen Werke (vielleicht zusammen mit Bachs h-Moll-Messe und den Passionen) führte Sir John Eliot Gardiner in seiner bisherigen Laufbahn die 1610er Marienvesper sowie L'Orfeo von Claudio Monteverdi auf. Da verwundert es schon ein bisschen, dass es jetzt bis zum 450. Jahrestag des italienischen Vorreiters dauerte, dessen zweite erhaltene Oper, Il ritorno d'Ulisse in patria, erstmals auf die Bühne zu bringen. Dafür werden im Jubiläumsjahr gleich mindestens vierzehn Leitungen mit seinen Monteverdi-Ensembles in Europa un den Vereinigten Staaten zu Buche stehen.
Neben den einstudierten Instrumentalisten und der in Venedig und nun schon auf einigen Brettern „akademisierten“ Sängercrew erfreuten viele sinnstiftende und überzeugende Einfälle vom Regieteam Gardiner/Rooke auch beim Deutschland-Unikum in der Berliner Philharmonie. Allen voran der entscheidende Wettstreit, in dem Lucile Richardots Penelope der Bogen in Person ist, der sich dank göttlich-telepathischer Kraftübertragung Minervas von den Freiern nicht spannen lässt. Zu diesem inhaltlich synchronisierten Bild kam auch noch Richardots dunkle, leidenschaftlich artikulierte Stimme, die aus ihrem betrübten Herzen voll Trauerschmerz und sehnlichstem Rückkehrwunsch ihres Ulisse kein Geheimnis machte und ihr menschliches Tugendschild der erbarmungslosen Treue standhaft vor sich her trug. Dieses bis zum Schluss währende Leid der Verteidigung von Keuschheit und Königreich beendete erst Ulisses Kuss, Licht aus, das Happy End schlechthin.
War Minerva, die von Hana Blažíkovás Sopran nach ihrem Enttarnen manchmal etwas mehr weise Routine vertragen hätte, Entwicklerin und Joker dieses dramatischen Spiels, hatte das Königspaar irdische Fürsprache vom cleveren, sympathischen Hirten Eumete, der mit dem einerseits naturgalanten, dazu wissenden, andererseits energischen Tenor Francisco Fernández-Ruedas seinen Beistand leistete. Brachte er den Gedankenvorsprung sowie die Anwaltschaft der guten Tat mit expressiver, dynamischer Ach-Mensch-ich-sag's-Euch-doch-Gewähr zur Geltung und blickte mit Furio Zanasi im Duett auf die noch folgende Poppea der Trilogie voraus, blieb Zanasi als Ulisse ein wenig emotionslos, zu nachdenklich und steif. Vermutlich unbeabsichtigt unterliefen seinem hellen Bariton beim post-irrfahrtlichen Berappeln ein paar intonatorische Verwirrungen, die er beim Wiederkommen der Erinnerungen ablegen konnte, doch stellte er damit – weil es eben passte – bei gutem Willen den realistischen, erst trittfassenden, haus-, hof- und fraulosen Geplagten dar. Seine Stimme arrangierte sich jedoch bestens in der harmonischen Zweisamkeit, deren zweiter Einsatz bei ihm mit Sohn Telemaco, von Krystian Adam orfeomäßig prägnant und phrasiert gesungen, nicht nur in der Altersrelation funktionierte, sondern außerdem ein weiteres Happy End erzählte.