Ostfriesland – da denkt man zuerst an Tee, an plattes Land, grüne Wiesen, natürlich an die Witze und neuerdings sogar an Windkrafträder. Vielleicht auch an den vermutlich vom römischen Geschichtsschreiber Tacitus formulierten Ausspruch „Frisia non cantat“. Schnell kommen dem Ortskundigen dann die vielen kleinen Dörfer mit ihren roten Häusern und alten Kirchen samt Glockentürmen in den Sinn, wo vielfach herrliche Schätze aus der Vergangenheit – etwa prächtige Altäre und historische Orgeln – ihre Besucher erwarten. Und seit zwei Jahren gibt es hier nun noch dazu ein Musikfestival, welches unter der künstlerischen Leitung von Matthias Kirschnereit in seinen „Gezeitenkonzerten“ vor allem auswärtige Künstler nach Ostfriesland führt, aber auch heimische Meister präsentiert und sich dadurch schon bundesweit einen Namen gemacht hat. Ein besonders inniges Erlebnis war dabei in diesem Jahr das Abschiedskonzert von Inka Drengemann-Steudtner – einer herausragenden Kantorin der Region und Leiterin diverser musikalischer Ensembles, die in „ihrer“, der St. Magnus Kirche zu Esens, mit Joseph Haydns Oratoriumsklassiker Die Schöpfung ihren Ruhestand einläutete.
Der lichtdurchflutete, neogotische Sakralraum mit seinen in den Himmel ragenden Pfeilern und eleganten Gewölberippen (allerdings fast alle nicht-tragende Attrappen aus Holz, wie das Programmheft verriet), den großen, hellen Fenstern, den farbenfrohen Verzierungen, der holzverkleideten Empore und nicht zuletzt der imposanten Rohlffs-Orgel (1848-60) an der Rückwand bot die perfekte und fast bis auf den letzten Platz besetzte Kulisse für die auf allen Ebenen absolut gelungene Aufführung.
Das etwa zwei Stunden beanspruchende Werk gehört zu den Highlights des Repertoires und wurde in Esens auf originalen klassischen Instrumenten respektive originalgetreuen Nachbauten dargeboten. Die Mitglieder des Nordwestdeutschen Barockorchesters, das von dem Musiker Martin Fliege dem jeweiligen Anlass entsprechend zusammengestellt wird und an diesem Abend in ansehnlicher Zahl kaum auf der (sogar noch extra erweiterten!) Bühne vor dem Altarraum Platz fand, sind allesamt Spezialisten der historisch informierten Aufführungspraxis, wovon man sich in diesem Konzert auf 430 Hertz Stimmtonhöhe überzeugen konnte.
So schon gleich zu Beginn in der instrumentalen Einleitung: Auf einen dumpf-dröhnenden Akkord-Schlag folgen undefinierte Klänge als musikalisches Symbol für das Chaos vor dem göttlichen Akt der im Alten Testament beschriebenen Schöpfung – das Ensemble zeigt sich in den kräftigen, tosenden Passagen als ausdrucksstark und leidenschaftlich, dann wieder zurückgenommen und einfühlsam, ebenso in der späteren Generalbassbegleitung der Rezitative. Nach dieser Ouvertüre wird im ersten Teil des Oratoriums die Erschaffung von Licht, Wasser und Pflanzen besungen, Abschnitt Zwei befasst sich dann mit der Kreation von Tieren und Menschen. Im dritten Teil schließlich erscheinen konkret Adam und Eva als liebendes, dem Schöpfer Dank bezeugendes Paar und führen das Werk zum jubilierenden Abschluss.