Manch ein langjähriger Opernkomponist hat wohl einfach Lust, mal wieder etwas anderes zu machen, sozusagen zurück zu seinen musikalischen Ursprüngen zu gehen. So scheint es bei Verdi und Rossini: Die beiden im deutschsprachigen Raum eher unbekannten geistlichen Werke, die der Philharmonische Chor und die Staatskapelle Halle unter der Leitung von Jörg-Peter Weigle an diesem Abend insgesamt überzeugend darboten, sind spätere Werke dieser zwei großen italienischen Meister. Verdis letzte Oper Falstaff lag gerade einige Jahre zurück, als die Quattro pezzi sacri 1898 in Wien erstmals als Zyklus präsentiert wurden; Rossini hatte sich um 1830 nach 39 Opern zurückgezogen, um sich der privaten Kammermusik und einigen religiösen Werken, darunter das Stabat mater (UA der endgültigen Fassung 1842 in Paris), zu widmen.
Was kann man also von zwei Werken erwarten, die in der Nachfolge einiger der populärsten italienischen Opern ihrer Zeit standen – Drama, Pathos, ganz große Gesten? Nicht wirklich. Zwar wohnen beiden Kompositionen unüberhörbar opernhafte Züge inne, die bei Rossinis Stabat mater noch direkter zum Tragen kommen als bei den eher in sich gekehrten Quattro pezzi sacri, sie sind jedoch in erster Linie von einer tiefen, wenn auch unterschiedlich umgesetzten Religiosität durchdrungen.
Verdis Ave Maria kann Zuhörerohren zunächst durchaus beirren: Voller Dissonanzen und an tonale Grenzen stoßend ist es wahrlich kein direkt und überschwänglich hinausposauntes Lob der Gottesmutter, das sich auf Anhieb erschließt, sondern eine gefühlvolle Auseinandersetzung mit individueller Geistlichkeit. Verdi wusste um die Verschlossenheit seines Werkes; gegenüber seinem Verleger Ricordi bezeichnete er sein Ave Maria als „sciarada“, als Rätselspiel. Ein paar Rätsel schienen der A-cappella-Satz und die drei anderen, gesanglich überaus anspruchsvollen pezzi sacri auch dem Philharmonischen Chor aufgegeben zu haben. Der frische, homogene Klang des Chores mit seiner recht hellen und lieblichen Vokalfärbung war an sich schön anzuhören und bot, vor allem im Ave Maria, einen interessanten Kontrast zu der teils scharfen Expressivität des Satzes. Hier und da genügte das jugendliche Kolorit des Chores aber im Laufe des Zyklus' nicht ganz, um den ausdrucksstarken, opernhaften Momenten der vier geistlichen Stücke in Klangvolumen, Lautstärke und Präzision gerecht zu werden.
Hier half das groß besetzte, souverän agierende Orchester. Unprätentiös unterstützte es den Chor melodisch und rhythmisch äußerst präzise, konnte aber im richtigen Moment seine klanglichen Stärken ausspielen. Chor und Orchester verbanden sich zu einem durchaus beeindruckenden, kraftvollen Ensemble, das die verschiedenen Facetten des Werkes gut umsetzte, so zum Beispiel im Te deum. Dieser letzte und längste Satz der Quattro pezzi sacri ist nämlich, wie der gesamte Zyklus, keine triumphale, selbstbewusste Gottespreisung, sondern verbindet göttlichen Fortissimo-Lobgesang in voller Besetzung mit den leisen Tönen eines zweifelnden Individuums, die blitzschnelles Umschalten erfordern.