Pietro De Maria ist einer der wenigen Pianisten, die Chopins gesamtes Solo-Klavierwerk auf CD eingespielt haben; Erfahrung mit Chopin kann man ihm also nicht absprechen. Sein Auftritt in der ausverkauften historischen Semper Aula der ETH mit ihren 99 Plätzen ließ ihn überaus freundlich, sympathisch, eher bescheiden-zurückhaltend erscheinen. Als Einstieg gab er eine kurze Einführung in die rhythmischen und harmonischen Besonderheiten in Chopins Mazurki. Sie sind Chopins „polnischste“ Kompositionen, ein Tanzform, die ihn sein ganzes Leben begleitet hat. De Marias Ausführungen waren nicht nur sehr instruktiv und interessant, die Erläuterungen und die dazu gewählten Ausschnitte stellten zugleich in idealer Weise den Konnex zum Hörer her.
De Maria spielte aus Chopins 58 Mazurken drei repräsentative Stücke. Zu Beginn eine langsame Mazurka vom Typ Kujawiak (Op.7 Nr.3): traurig-melancholisch, fast depressiv, nur im Mittelteil etwas aufgehellt (so erscheint sie wohl zumindest dem nicht-polnischen Zentraleuropäer!). De Maria gestaltete sehr passend mit ausgeprägtem Rubato, oft zögernd-verhalten. Mit Op.24 Nr.2 folgte eine schnelle Mazurka vom Typ Oberek. Ich empfand sie als launisch-fröhlich, im Zentrum auffordernd-aufbegehrend, vom stampfenden Synkopen begleitet. Als Drittes: die letzte zu Chopins Lebenszeit veröffentlichte Mazurka, Op.63 Nr.3, ein eher nachdenkliches Stück mit dem typischen Merkmal der erhöhten Quart. Hier gefiel mir besonders die sehr sorgfältige Disposition in Dynamik und Tempo.
Die Ballade erweiterte das Ausdrucksspektrum deutlich. Bei De Maria erschien der Beginn des Satzes versonnen, fast verspielt, in der Gestaltung oft introvertiert-bescheiden, zurückhaltend in den harmonischen Steigerungswellen. Zwar beschleunigte der Pianist auf die Höhepunkte hin deutlich, spielte dann sehr flüssig, bis zur klanglichen Prachtentfaltung, aber Virtuosität war nie vordergründig oder gar Selbstzweck, sondern lediglich eine notwendige (und solide) Basis.
Beim Nocturne konnte man aus De Marias Mimik fast vermuten, er fürchte sich vor einzelnen, zu harten oder zu lauten Noten, obwohl mir das Stück nicht übermäßig verträumt oder feierlich erschien. Im Kleinen störte mich die sehr ausgeprägte Agogik, die den Fluss manchmal behinderte, das Interesse zu sehr auf motivische Details richtete. Dafür gefiel mir im Großen die harmonische, organische Entwicklung, der alles überspannende Bogen. Im Scherzo schließlich vermied De Maria unnötiges Auftrumpfen, Schroffheit in der Artikulation. Das Spiel war in Dynamik und Pedalgebrauch stets wohldosiert, aber keineswegs je lehrhaftes Gedankenkonstrukt. Auch hier steigerte sich der Pianist zu sehr flüssigem Tempo, zeigte sich aber stets als Meister des nuancierten Anschlags.
Nach der Pause erhielt das Publikum zum Umstieg wieder eine kurze, sehr hilfreiche Einführung zu Ligetis Etüden. Nach Fém (Metall) mit seinem fast spielerischen Gegeneinander von „harten“ Sekund- und Quint-Intervallen und den Gegensätzen von „stählernen“ Höhen und weicher Tiefe folgte das trotz aller Dissonanz sehr stimmungsvolle Arc-en-ciel. Einen Bogen findet man bestenfalls in der Dynamik; vor allem ging es Ligeti um das Atmosphärische und es ist fast rührend, wie das Stück am Ende in den höchsten Höhen der Tastatur gehaucht in die Ewigkeit entschwindet. Auffällig war die gekonnte Differenzierung zwischen exaktem und arpeggiertem Anschlag.