Das sechste Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin hatte einen ganz traditionellen Aufbau: Ouvertüre, Solokonzert und eine große Symphonie nach der Pause. Und doch erklangen in ihm nicht die bekannten Werke, sondern solche, die auch in der Musikstadt Berlin selten zu hören sind.
Ursprünglich wollte Daniel Barenboim seinen Debussy-Zyklus fortsetzen und zu Beginn das Prélude à l'après-midi d'un faune dirigieren. Offenbar hatte er es sich anders überlegt und eröffnete das Konzert mit Rossinis Ouvertüre zu Semiramide. Leicht, aber ohne jeden Anflug von Ironie, der manche Rossini-Darbietung stört, erklang das sanguinische Stück, in dem die Holzbläser einander ihre Melodien zuwerfen. Die großen Tutti-Blöcke knallten nicht hinein, sondern wurden edel dunkel abgefärbt, wie man es von der Staatskapelle so gerne hört.
Dann betrat Lisa Batiashvili, die mit Barenboim und der Staatskapelle schon die Violinkonzerte von Sibelius und Tschaikowsky musiziert und aufgenommen hatte, das Podium. Diesmal stand Szymanowskis Violinkonzert auf dem Programm. Die Aufführung verlangt viel Konzentration, und wohl darum lagen auf den Pulten der Solistin und des Dirigenten große Partituren. Zu Recht ist Barenboim für seine Darbietungen Wagners und Bruckners berühmt. Mittlerweile hat er sich aber auch zu einem Spezialisten jener Musik gemacht, die in den ersten beiden Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts entstanden ist.
Es ist das große Verdienst beider Musiker und des Orchesters, dieses Konzert nicht im Klangzauber zu ertränken, sondern mit aller Sorgfalt einen feinen Dialog entfaltet zu haben. Szymanowski charakterisierte sein Violinkonzert als „unerhört phantastisch und überraschend“ und so erklang es in dieser Aufführung auch. So werden Anklänge an ein Scherzo, an durchführungsartige Partien sowie kantable Abschnitte, die einem langsamen Satz entstammen könnten, hörbar – und doch entsteht in der Wahrnehmung eine wie zufällig arrangierte Musik, die von ganz eigenen individuellen Arten der Gestaltung getragen ist. Das einsätzige Konzert ist durch Tadeusz Micínskys Gedicht Mainacht inspiriert. Und so ließen die Musiker alles in einem Halbdunkel glitzern und zerstäubten die Motive in diesem nächtlichen Labyrinth.
Das Werk beginnt mit Motiven, die „Vogelrufe“ heraufbeschwören. Wohl keiner im Saal war nicht hingerissen, als Lisa Batiashvili dann in hoher Lage auf ihrem Instrument einsetzte und mit ihrer Kantilene in diese Naturszene die menschliche Stimme einbrachte. Während das Orchester fortan in eher dunklen Tönen musizierte, wählte sie einen helleren Ton. So entstand ein Dialog zwischen Solist und Orchester, der aber nichts mehr mit dem Wettbewerb virtuoser Solokonzerte zu tun hat. Im Unterschied zu diesen Violinkonzerten tritt die Geige in Szymanowskis Werk dem Orchester nie entgegen, sondern agiert stets mit ihm. Lisa Batiashvili ist eine sehr geeignete Solistin für dieses Konzert, weil sie über die technischen Fähigkeiten verfügt – ihr Part mit virtuosen Sprüngen, Mehrfachgriffen und Flageoletts gespickt – und sich doch nie vor das Orchester drängt, weil es der Part nicht zulässt. Der Schluss gelang besonders überzeugend: In der von dem Geiger Pawel Kochánski verfassten Kadenz ließ die Geigerin das Ganze noch einmal Revue passieren. Dann wird sie vom Orchester unterbrochen. Die Vogelstimmen vom Beginn erklingen wieder und Lisa Batiashvili hob das in ein Flageolett transformierte Scherzo-Motiv in die höchste Höhe wo es mit den Streicher-Pizzicati und den wie vorbeihuschenden Läufen im Klavier wie ins Unerreichbare getragen wird.