Camilla Nylund ist als Salome in Wien keine Unbekannte, doch ist es spannend und wunderbar anzusehen, wie sie in der neuen, erst ein Jahr alten Inszenierung von Cyril Teste eine Weiterentwicklung in ihrer schauspielerischen Leistung zeigt und auch gesanglich zu neuen Höhenflügen ansetzt. Man hört perfekte Intonation zwischen der fast erschreckend tiefen Bruststimme, mit der sie Salomes Forderungen Nachdruck gibt, und ekstatischen, durch die Orchesterwogen schneidenden Spitzentönen.
Cyril Testes sauber-elegante Kulisse an der Wiener Staatsoper mit dem unvermeidlichen Mond im Hintergrund (Bühnenbild: Valérie Grall) steht in krassem Gegensatz zur Darstellung von Salome als Missbrauchsopfer und zu den unvorteilhaften Großaufnahmen von Herodes‘ Tischgesellschaft, mit denen eine Live-Kamera den schönen Schein in dieser Familie Lügen straft. Die Live-Kamera ist auch dabei, wenn Salome als etwa vierzehnjährige Tänzerin (in dieser Inszenierung gibt es eine weitere, noch jüngere Salome) ihren berühmten Tanz rund um den Banketttisch aufführt. Ein großes Lob dafür an Anna Chesnova und die Choreografin Magdalena Chowaniec für diese intensive Gestaltung, die fast körperlich wehtut.
Im Gegensatz zu den drei Salomes hatte Iain Paterson als Jochanaan nicht seinen besten Abend, was teilweise auch dem Dirigat anzulasten ist. Bis zur Verfluchung hörte man jedenfalls schon deutliche Ermüdungserscheinungen. Interessant allerdings die Interaktionen mit Salome zwischen Abstoßung und Annäherung. Gerhard Siegel ist nicht der prägnanteste Herodes-Sänger, er porträtiert diesen aber absolut rollendeckend als lächerlichen Schwätzer, dem man jedoch zutraut, sich an seiner jungen Stieftochter (oder auch anderen Wehrlosen, etwa Sklavinnen) zu vergreifen (nicht zuletzt, weil das Bett mit Herodias kalt ist).
Letztere ist keine einfache Rolle, denn weder Mann noch Tochter hören auf sie, obwohl sie sich mit ihrer Empörung über Jochanaans Anschuldigungen und Moralpredigten lautstark in Szene setzt. Für Michaela Schuster ist es aber eine Paraderolle – sie hat alle stimmlichen Möglichkeiten und das notwendige schauspielerische Talent. Wie sie Herodes genervt ignoriert, um im nächsten Moment wieder zu versuchen, ihn unter ihre Fuchtel (hier ein Fächer) zu bringen, ist absolut sehenswert. Ebenfalls herausragend ist Patricia Nolz als Page, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Mit ungeheurem Ausdruck werden bei ihr die Worte „Schreckliches kann geschehen“ zur Exposition dessen, was kommen wird.
Daniel Jenz ist ein ebenso ausgezeichneter Narraboth. Der in Salome aussichtslos Verliebte stirbt in den meisten Inszenierungen einen (auch werktreu) unbeachteten Freitod, rückt in dieser Inszenierung jedoch in den Vordergrund: Bei seinem Tod erscheint erstmals Salomes kindliches Ich, verkörpert von Jana Radda. Und während Narraboths Tod die erwachsene Salome völlig kaltlässt, wird die weitere Handlung durch die junge Salome schon ein wenig vorweggenommen. Sie zieht sich Narraboths Uniformjacke wie eine Trophäe ihrer Wirkung auf Männer an.