Auch wenn sich der zur Abgrenzung des klassischen Repertoires eingeführte Begriff der Alten Musik etabliert hat, musste er doch einige Zeit mit dem Vorurteil der Einseitigkeit leben. Dass dies geradezu paradox und völlig falsch war, kann man auch an der Geschichte des Festivals Alte Musik Knechtsteden ablesen, das mit Recht und Stolz die feierliche Begehung seines dreißigjährigen Bestehens quasi als Akt der selbstbestätigenden Demonstration unter den Titel „Vielfalt“ stellte. Waren alle Ausgaben unter dem künstlerischen Gründungsvater Hermann Max – 1991 just zum Thomaskantor in Leipzig gewählt, dessen Posten er wegen Differenzen nicht antrat – davon gezeichnet, viele gar nicht gespielte Komponisten oder Werke wieder aufzuführen und in den musikgeschichtlichen Kontext und Prozess des Bekannten einzubinden, konnte es sich nur ergeben, dass die Hausensembles der Rheinischen Kantorei und des Kleinen Konzerts ausgiebige Zusammenschnitte in ihren Programmen auffuhren. Während eines mit dem Teil des letztjährigen Marathons um Beethoven nochmals aufgelegt wurde, bestand ein zweites aus einem Querschnitt früh- und hochbarocker Motetten.
Hoffnung, Glück und Leid im 17. Jahrhundert war jenes Potpourri von acht Komponisten aus England, Italien und Deutschland überschrieben, um unmissverständlich die zentralen Befindlichkeiten in dieser kriegerischen, entbehrungsgeplagten wie pandemischen Zeit zu illustrieren. Darüber hinaus sorgte Moderatorin Constanze Backes nicht allein mit abgeklärtem Kenntnisreichtum an historischen, theologischen und werkfokussierten Einordnungen, sondern als erfahrener Sprachcoach, renommierte Opern- und Konzertsängerin sowie dadurch mit linguistisch wie lautmalerisch unverbrüchlicher, sensibler Hingabe und Begabung für eine zugängliche Beschreibung. In der Wiedergabe zeigten sich die fünf Gesangssolisten und die Instrumentalisten – weit überwiegend als Continuogruppe aus Truhenorgel, Violone, Schwanenhalslaute und Dulzian firmierend – erfreulich beweglich und affekt- wie effektgesteuert, selbst wenn mich Max' Abschlüsse in den etwas uninspiriert-nüchternen Manieren oder Veronika Winters mitunter angestrengt wirkende Vokalaktivität nach wie vor nicht gänzlich zufriedenstellen mögen.
In einer Auslese aus Scheins Israelis Brünnlein präsentierten sich die Stimmen deklamationssicher samt extraphrasierten und dynamischen Reizen und somit nahbar, um das in größter Not aufgefangene, mal trotzige, mal bezirzend positivistische Gottvertrauen in entfaltender Klangrede spürbar zu transportieren. Besonderes Augenmerk auf Wortbetonung legte Winter dabei natürlich auch in Schütz' geistlichem Konzert Eile, mich, Gott zu erretten, in dem die Umsetzung und der theatralische Anstrich die getriebene Dringlichkeit verkörperten, Kontraste allerdings in den Hintergrund gerieten. Am idealsten gelang in eindrücklicher Aufnahme sowohl aller musikalischer Mittel als auch der Zusammenfassung von Verlust und gottesfürchtigem, teils fatalistischem Überwasserhalten Schütz' Ich hab mein Sach Gott heimgestellt, das als zurückgezogenes Gespräch Andacht, Ernst und gläubiges Behütetsein in der Unnachahmlichkeit des Komponisten ausstrahlte. Passend zum Auf- und Anruf Verleih uns Frieden gnädiglich lebte dessen gleichnamige dramatischere Motette zusätzlich von einem Mehr an Eindringlichkeit und ansprechender Kraft.